In seinem Buch „Luxus Landleben“. plädiert Wolf Schmidt für eine „Neue Ländlichkeit“ ohne schlechte Romantik. Es geht um einen Lebensentwurf ohne Landwirtschaft. Wie kann gutes Leben auf dem Lande gelingen? Das Landleben hat einen ambivalenten Ruf. Aus der Sicht des gestressten Städters steht es für Ursprünglichkeit, Ruhe und solidarische Gemeinschaft. Immer aber hatte das Landleben auch den Geruch von Rückständigkeit, sozialer Kontrolle, schwerer Arbeit und Langeweile. Der Soziologe und Philosoph Theodor. W. Adorno sprach einmal von der „sanften Idiotie des Landlebens“. Immerhin aber sprach er von einer sanften Idiotie.
Doch trotz aller wie auch immer gearteter Einschätzungen. Die Befunde aber sind klar: Die ländlichen Räume werden immer leerer, die Städte immer voller. Mit Konsequenzen für beide Seiten. Versorgungsengpässe im weitesten Sinne hie, kaum noch bezahlbarer Wohnraum dort. Es geht Wolf Schmidt nicht um eine Rückkehr zur bäuerlichen Landwirtschaft mit drei Kühen und vier Schweinen, auch nicht um das Ideal des evangelischen Pfarrhauses mit der darin waltenden „züchtigen Hausfrau“ (Schiller). Wolf Schmidt ist sehr modern, sein Konzept für eine neue Ländlichkeit ist nicht rückwärtsgewandt, sondern bedenkt alle technologischen Errungenschaften, vor allem das Digitale, und entwickelt daraus eine Lebensform, die er so darstellt: natürlich, digital, kulturell.
Natur und Neue Ländlichkeit .
Darunter versteht Wolf Schmidt Wohnen im Grünen, naturnahe Bewirtschaftung von Flächen, regionale Lebensmittel, die nicht industriell gefertigt sind und die Umgestaltung und Renovierung des Gebäudebestandes. Dies alles bewirke eine Art Schärfung der Sinne. Dazu gehört der Aufenthalt im Freien, die körperliche Arbeit, die Freude am Umgang mit der Natur: Der Mensch als Teil der Natur mit Tages- und Jahreszeiten, gutem und schlechten Wetter.
Kinder und alte Leute sind ein wichtiger Faktor im Konzept der neuen Ländlichkeit. Kinder erfahren hier wieder, dass Kühe nicht lila sind, sie erfahren etwas vom Leben und Sterben, vom Wachsen und Vergehen und müssen nicht, wie in der Großstadt, einen von den Eltern bewachten Käfigspielplatz aufsuchen. Und die Alten, die stellen einen gemeinschaftsstabilisierenden Faktor dar, da sie sich mit ihren Erfahrungen für das Gemeinwohl engagieren können. Dies alles bliebe eine sympathische Vision eines gelingenden ländlichen Lebens, wäre nicht ein wesentlicher Grund für die Landflucht das fehlende Angebot an beruflichen Möglichkeiten.
Digitale Revolution und neue Ländlichkeit
Trotz der berechtigten Angst vor „Big Brother is watching you“ und der ständigen Erreichbarkeit durch das Smartphone (es gibt übrigens auch beim Smartphone einen Ausschaltknopf) , bietet die neue Welt des Digitalen eben auch Vorzüge, die Wolf Schmidt für das neue Landleben nutzbar machen will. Einige Beispiele: Immer weniger wichtig wird es, wo eine Bibliothek, eine Buchhandlung, ein Zeitungskiosk zu finden ist. Auch Angestellte können viele Arbeiten vom Homeoffice aus erledigen, geschäftliche Termine auf das Allernötigste begrenzt werden. Die schulische Benachteiligung von „Landkindern“ könnte durch internetbasierten Unterricht mit qualifizierten Lehrern und Lehrerinnen beseitigt werden. Die klassische „Schule … als letzte Bastion militärischer Fabrikdisziplin des 19. Jahrhunderts mit viel zu frühem Unterrichtsbeginn, strenger zeitlicher Taktung und kollektivistischer Organisation“ ihr Ende finden. Hilfreich kann die digitale Welt auch bei der medizinischen Versorgung sein; ein großes Problem auf dem Lande. Wolf Schmidt denkt da etwa an Online-Sprechstunden mit Bild und Ton. In Zeiten von Grippewellen ist die Vermeidung des Wartezimmers sicher eher gesundheitsfördernd. Schmidt plädiert auch für regionale Online-Märkte und E-Government , das es zum Beispiel erlauben würde, das Auto vom heimischen Computer anzumelden, ohne den weiten Weg in die nächste Stadt antreten zu müssen.
Kultur und Neue Ländlichkeit
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Dieser Erkenntnis folgend bleibt die Frage nach dem kulturellen Leben, das nach gängiger Vorstellung auf dem Lande nicht so ausgeprägt ist. Dass eine Landschaft mit Alleen und Blumen, alten Kirchen und Gehöften ganz einfach schöner ist als sämtliche „rust belts“ in den USA und im Ruhrgebiet, schöner auch als hastig erbaute Wohnsilos, darf man getrost als weitgehend akzeptiert voraussetzen. Das Thema Kultur und Neue Ländlichkeit beinhaltet aber mehr. Für Wolf Schmidt sorgen Kulturakteure für eine Bereicherung, die über den Naturgenuss, den das Landleben idealerweise bietet, hinaus geht durch Aufführungen, Ausstellungen, Lesungen und Diskussionen. Sie sind Garant für die Offenheit der Landgemeinschaft jenseits der kilscheebehafteten Vorstellungen ländlichen Lebens. Zur Kultur des Landlebens gehört aber ebenso eine Kultur der Gemeinschaft, wie sie in weltlichen und kirchlichen Festen, Bräuchen und Feiern zutage tritt. Dazu gehören aber auch Nachbarschaftshilfe und die Fürsorge für Menschen in Not. Möglicherweise ist dies ohnehin in ländlichen Regionen weiter verbreitet als in der anonymen Großstadt, vermutet Wolf Schmidt.
Am Ende des Buches scheint eine Utopie auf, von der Wolf Schmidt meint und natürlich hofft, dass sie einmal Realität wird: „Wer … zu Hause ein verträgliches Quantum abhängiger Arbeit zu bewältigen hat oder gar selbständig tätig ist, der kann sich die Freiheit nehmen, auch werktags morgens im Garten aktiv zu sein, nachmittags zu malen und am Abend Aufgaben am Computer zu erledigen. So ähnlich hatten sich das Marx und Engels auch vorgestellt -oder?
Bleibt die Frage, ist Schmidts Idee von der neuen Ländlichkeit nur Utopie? Ein „Nicht-Ort“? Wohl nicht! Der Autor Wolf Schmidt hat die Mecklenburger Anstiftung gegründet, die zu Initiativen anstiften und dafür Menschen begeistern will. Der promovierte Historiker hat als Vorstand der Hamburger Körber-Stiftung gearbeitet und ist Sprecher des Landesnetzes der Stiftungen in Mecklenburg-Vorpommern.
Das Buch ist erhältlich über die Mecklenburger Anstiftung: