Das Angebot an erneuerbarer Energie und energieeffizienter Produktion ist nur die eine Seite beim Klimaschutz. Um die Erderhitzung wie im Paris-Abkommen vereinbart zu begrenzen, braucht es laut den wissenschaftlichen Szenarien auch „nachfrageseitige Klima-Lösungen“, die vor allem den Verbrauch von Energie in den privaten Haushalten drosseln. Ihr Potenzial ist groß: Sie können in den Sektoren Gebäude, Verkehr, Ernährung und Konsumprodukte 40 bis 80 Prozent der Treibhausgas-Emissionen einsparen. Und sie bedeuten nicht qualvollen Verzicht, sondern ganz überwiegend sogar ein Mehr an Lebensqualität.
Zu diesem Ergebnis kommt jetzt ein Forschungsteam aus 17 Ländern, angeführt vom Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change). Die Studie wurde jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Nature Climate Change veröffentlicht.
„Wir haben die wichtigsten nachfrageseitigen Lösungen identifiziert“, sagt Leila Niamir, Wissenschaftlerin in der MCC-Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport und eine Leitautorin der Studie. „Dazu zählen aktive Fortbewegung etwa zu Fuß oder per Fahrrad, eine Umstellung der Ernährung hin zu gesundem und fleischfreiem Protein sowie das Wiederverwerten und Recycling von Material. Wir haben die Wirkung auf Klima, Umwelt und menschliches Wohlergehen analysiert und gezeigt, dass sie – anders als vielfach wahrgenommen – der Lebensqualität und dem Komfort nicht entgegenstehen. Tatsächlich haben sie günstige Effekte auf das menschliche Wohlergehen und großes Potential für den Klimaschutz.“
Das Forschungsteam filterte aus 54.000 wissenschaftlich begutachteten Fachartikeln rund 600 relevante Arbeiten heraus, bewertete in einem strukturierten Prozess die für die Studie wichtigen Aussagen und codierte diese nach einem einheitlichen Schema. In einer interaktiven Datenbank ist hinterlegt, wie sich für die 306 untersuchten Teilaspekte der Zusammenhang von Klimaschutz und Lebensqualität herleitet und was sich an Emissionen einsparen lässt.
Der Effekt auf die Lebensqualität ist zu 79 Prozent positiv, zu 18 Prozent neutral und nur zu 3 Prozent problematisch. Beispielsweise geht es um höhere Lebenserwartung bei einer mehr pflanzenbasierten Ernährung, um die Luftqualität beim Ersatz von Kohle und Öl und im den sozialen Zusammenhalt in klimafreundlichen Städten. Die Analyse erfolgte aus einer weltumspannenden Perspektive, beteiligt waren etwa Institute aus Mexiko, Indien, Australien, Japan und den USA.
Die Studie räumt auch mit der Vorstellung auf, dass es bei nachfrageseitigen Klima-Lösungen letztlich auf den individuellen Klimaschutz aus eigenem Antrieb ankomme. „Die Politik ist hier genauso gefordert wie auf der Angebotsseite beim Ausbau der erneuerbaren Energien“, betont Felix Creutzig, Arbeitsgruppenleiter am MCC und ebenfalls Leitautor der Studie.
„Verhaltensänderungen erfolgen nicht im luftleeren Raum, sie hängen ganz wesentlich an Infrastruktur-Angeboten und neuen Dienstleistungssystemen – wie etwa sichere Fahrradwege und Kantinen, die hochwertig vegan kochen. Und es geht hier auch um soziale Normen, die ja nicht in Stein gemeißelt sondern formbar sind, wie es ja im Kontext der Corona-Pandemie derzeit intensiv diskutiert wird.“
Das Forschungsprojekt erfolgte nicht zuletzt mit Blick auf den Sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC, speziell den für das Frühjahr 2022 erwarteten Teilbericht zum Klimaschutz. Dort ist MCC-Forscher Creutzig als Koordinierender Leitautor federführend für das erstmals vorgesehene Kapitel zu nachfrageseitigen Klima-Lösungen. „Energieeffizient wohnen, essen, reisen – solche Themen werden ganz wichtig, wenn wir katastrophalen Klimawandel abwenden wollen“, sagt er. „Unsere jetzt vorgelegte Studie bewertet das erstmals konsistent, sowohl mit Blick auf die Emissionen als auch auf die Lebensqualität.“