Wasserstoff als Energieträger, zuverlässige Antriebstechnologien und Energiespeicher für die Elektromobilität – um die Energiewende voranzutreiben, verstärken die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und das Fraunhofer-Institut für Siliziumtechnologie (ISIT) ihre Kooperation. Die beiden Partnerinnen haben dafür die Arbeitsgruppe „Elektronische Energiesysteme“ neu aufgelegt. Angesiedelt an der Technischen Fakultät der CAU, wird die Forschungsgruppe in der ersten Phase mit insgesamt fünf Millionen Euro gefördert – jeweils zur Hälfte durch die Fraunhofer-Gesellschaft und durch das Land Schleswig-Holstein.
„Für den direkten Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Industrie spielt die Verankerung an einem gemeinsamen Standort eine wegweisende Rolle“, sagt Simone Fulda, Präsidentin der CAU. „Mit diesem Schritt wollen wir einen maßgeblichen Beitrag zur Energiewende leisten, unserer Rolle aus Innovativer Motor in Schleswig-Holstein gerecht werden und damit auch unserer gesellschaftlichen Verantwortung.“
Die beiden Partnerinnen verfolgen ehrgeizige Ziele: Nach drei Jahren will die Arbeitsgruppe bereits weitestgehend auf eigenen Füßen stehen, nach fünf Jahren ist eine selbstständige Finanzierung durch Drittmittelforschung und Industrieaufträge geplant. Perspektivisch soll aus der aus der Arbeitsgruppe heraus ein Teilinstitut der Fraunhofer-Gesellschaft am Standort der Technischen Fakultät entstehen. Geleitet wird „Elektronische Energiesysteme“ von Professor Marco Liserre.
„Die Landesregierung verbindet mit dem Projekt wichtige wissenschaftspolitische Interessen“, so Wissenschaftsministerin Prien. „Durch die Kooperation werden die Fraunhofer Aktivitäten im Land weiter gestärkt und damit die Leistungsfähigkeit des Wissenschaftsstandortes Schleswig-Holstein im Bereich der anwendungsnahen Forschung erhöht.“ Sie betont, dass die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen der außeruniversitären Forschung und der CAU sehr wichtig sei: „Damit wird die Energieforschung in Schleswig-Holstein einen weiteren großen Schub erhalten.“
„Schleswig-Holstein bietet aufgrund des hohen Anteils Erneuerbarer Energien hervorragende Voraussetzungen für die Produktion und Vermarktung von grünem Wasserstoff. Umso wichtiger ist es, dass die Wissenschaft vor Ort eng vernetzt mit der Politik und der Wirtschaft agiert. Mit der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und dem Fraunhofer-Institut für Siliziumtechnologie (ISIT) haben wir starke Partner, um den Wasserstoff-Standort Schleswig-Holstein weiter zu stärken“, sagte Energiewende-Staatssekretär Tobias Goldschmidt.
Wissenschaftsstandort Schleswig-Holstein – Stärkung auf internationaler Bühne
Das Land Schleswig-Holstein nimmt bundesweit eine Vorreiterrolle in der Erforschung, Entwicklung und Nutzung erneuerbaren Energien ein: „Die neue ISIT-Gruppe wird dazu beitragen, Kiel als einen Ort für herausragende technologische Innovationen im Sektor Energieforschung zu positionieren. Mit innovativen Methoden entwickeln wir aus den Resultaten der Grundlagenforschung anwendbare Systeme für die Industrie“, sagt Marco Liserre. „Damit wird der Wissenschaftsstandort wettbewerbsfähig und international sichtbarer.“
Die enge Zusammenarbeit von ISIT und CAU baut auf einer langjährigen strategischen Partnerschaft auf. Professor Axel Müller-Groeling, der das Fraunhofer ISIT seit 2016 leitet, wurde gemeinsam durch beide Einrichtungen berufen. Professor Holger Kapels, stellvertretender Leiter des Fraunhofer ISIT ist ebenfalls Professor an der Technischen Fakultät der CAU. Seine Arbeitsschwerpunkte am ISIT, die Entwicklung leistungselektronischer Bauelemente und innovative Energiesysteme, bieten vielversprechende Synergien und Kooperationsmöglichkeiten mit der neuen Gruppe in Kiel.
Zudem wurden in der Vergangenheit zahlreiche Drittmittelprojekte gemeinsam durchgeführt. Da sei es nur folgerichtig, den nächsten Schritt zu gehen, betont Müller-Groeling: „Beide Seiten werden in hervorragender Weise von der Kooperation profitieren, denn sie werden so für die Wirtschaft noch attraktiver. Das ISIT bringt seine eigenen Kompetenzen im Bereich der Entwicklung von Mikrokomponenten und Energiespeicher ein und erweitert in Zusammenarbeit mit der CAU sein Angebot um die Entwicklung kompletter Systeme.
Für die CAU bedeutet der enge Schulterschluss, dass sie ihre wissenschaftlichen Forschungsergebnisse noch breiter in der Wirtschaft positionieren kann.“ Mit drei Bausteinen will der Leistungselektroniker Marco Liserre die Energiewendeforschung in der Arbeitsgruppe voranbringen. Der erfahrene, vom Europäischen Forschungsrat (ERC) geförderte, Wissenschaftler möchte, dass beide Einrichtungen ihre Stärken bestmöglich einbringen können.
Zukunftsweisende Stromnetze
Zukünftige Stromnetze bilden den ersten Baustein – ein Bereich, in dem Liserre seit 20 Jahren forscht. „Wenn wir Wasserstoff als Energieträger nutzen wollen, müssen wir lernen, den Gleichstrom aus der Erzeugung erneuerbarer Energien wie Wasserstoff an das konventionelle Wechselstromnetz anzuschließen. Dafür brauchen wir elektronische Transformatoren und neue Komponenten aus der Leistungselektronik“, so Liserre. Einbringen kann Liserre beispielsweise seine Ideen für einen smarten Transformator „HEART“ (Highly Efficient and Reliable smart Transformer). Aus dieser Idee ist bereits ein Prototyp entstanden, der im 2019 eröffneten Mittelspannungslabor an der Technischen Fakultät getestet wird. Dieser könne auch eingesetzt werden, um verschiedene Wasserstoffsysteme miteinander zu verbinden.
Intelligente Speichertechnologien für die Elektromobilität
Intelligente Speichertechnologien stellen den zweiten Baustein. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Knowhow sollen neue Speichermaterialien insbesondere für die Elektromobilität entwickeln werden; geplante Einsatzgebiete sind die Straße wie auch der maritime Verkehr. Für die Erforschung neuartiger Batterien nutzen die Wissenschaftler auch das 2020 in Betrieb genommene Labor für zuverlässige batteriegestützte Energiewandlung (BAEW), in dem Professor Marco Liserre mit der Materialwissenschaftlerin Dr. Sandra Hansen und dem Professor für Funktionale Nanomaterialien Rainer Adelung bereits an innovativen Batterietechniken forscht.
Halbleiter – zuverlässig und langlebig
Leistungsfähige Batteriespeicher und effiziente Stromnetze benötigen zuverlässige und langlebige Halbleitersysteme. Auf deren Entwicklung und Produktion im Industriemaßstab ist das Fraunhofer ISIT spezialisiert. Das Themenfeld Aktive Zuverlässigkeit bildet somit den dritten Baustein in der neuen Arbeitsgruppe. „Besondere Synergieeffekte für zuverlässige und langlebige Kundenlösungen ergeben sich insbesondere aus der Kombination der Kernkompetenz des ISIT im Bereich der Bauelementeauslegung und -entwicklung mit den langjährigen Erfahrungen der CAU im Bereich innovativer Regelungsstrategien und der thermischen Modellierung“, erläutert Professor Holger Kapels.
Transfer in die Zukunft
Auch der wissenschaftliche Nachwuchs hat bereits in der Vergangenheit von der stetig wachsenden Kooperation profitiert. So konnten Doktorandinnen und Doktoranden industrienah forschen, Studierende hatten frühen Kontakt zur Praxis und das außeruniversitäre Institut arbeitete am Puls der aktuellen Grundlagenforschung. „Wir profitieren gegenseitig voneinander und können unseren Studierenden ein forschungs- und gleichzeitig industrienahes Angebot machen. Das wollen wir in der neuen Arbeitsgruppe ausbauen“, betont Liserre.
Auch für neue Projekte und Forschungsfelder Themenkomplexe zeigt sich Marco Liserre offen: „Unser Ziel ist es, Innovationen aus der Energiewendeforschung in die industrielle Anwendung zu bringen. Dafür möchten wir die bestehenden Projekte und Labore des Fraunhofer ISIT und der CAU möglichst umfangreich einbinden, auch über die Technische Fakultät hinaus.“ Bereits geplant sei ein vierter Forschungsbereich rund um Sensoren für den Energiesektor und sogenannte MEMS, mikroelektromechanische Systeme, für die Mikrofertigung.
Über das Fraunhofer-Institut für Siliziumtechnologie (ISIT)
Das Fraunhofer ISIT in Itzehoe ist eine der europaweit modernsten Forschungseinrichtungen für Mikroelektronik und Mikrosystemtechnik. Herzstück des Instituts sind die Reinraumanlagen, groß genug, um nicht nur Forschung zu betreiben, sondern auch, um die entwickelten Mikrochips im industriellen Maßstab zu fertigen.
160 Wissenschaftler entwickeln im ISIT in enger Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie Bauelemente der Leistungselektronik und Mikrosysteme mit feinen beweglichen Strukturen für die Sensorik (Druck, Bewegung, biochemische Analytik etc.) und die Aktorik (Ventile, Scanner, Spiegelarrays etc.) einschließlich der dazu notwendigen Gehäusetechnik. Diese miniaturisierten Bauelemente finden ihren Einsatz in der Medizin, in der Umwelt – und Verkehrstechnik, in der Kommunikationstechnik, in der Automobilindustrie und im Maschinenbau.
Über die Technische Fakultät (TF) der Kieler Universität
Die Technische Fakultät und ihre drei Institute Elektrotechnik und Informationstechnik, Materialwissenschaft und Informatik widmen sich aktuellen und zukunftsweisenden Themenbereichen der Ingenieurwissenschaften. Ihre Forschung orientiert sich dabei an den Bedürfnissen einer modernen Gesellschaft und ihrer Wirtschaft. Diese Ansprüche vermittelt sie besonders praxis- und forschungsnah an ihre Studentinnen und Studenten aus der ganzen Welt.
Durch das Engagement ihrer Forscher hat sich die TF zu einer bundesweit und international beachteten Einrichtung entwickelt. Aufsehenerregende Forschungsergebnisse und Beteiligungen an einer Vielzahl erfolgreicher Kooperationen mit Unternehmen belegen den hohen Anspruch dieser Institution.
So engagiert sich die Fakultät an allen Schwerpunkten der CAU zum Beispiel im Forschungsschwerpunkt Kiel Nano, Surface and Interface Science (KiNSIS). Zu den herausragenden Drittmittelprojekten gehören unter anderem die beiden Sonderforschungsbereiche 1461 „Neuroelektronik: Biologisch inspirierte Informationsverarbeitung“ und 1261 „Magnetoelektrische Sensoren: von Kompositmaterialien zu biomagnetischer Diagnose“ sowie das Graduiertenkolleg 2154 „Materials for Brain“ und die Forschergruppe 2093 „Memristive Bauelemente für neuronale Systeme“.