Grundlegende Veränderungen im Ozean wie eine zunehmende Erwärmung, Versauerung oder Sauerstoffreduzierung können erhebliche Folgen für die Zusammensetzung von Fischbeständen haben – bis hin zur Verdrängung einzelner Arten. Forschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) haben gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland, Kanada, den USA und Frankreich anhand von Sedimentproben aus dem Humboldtstrom-Gebiet vor Peru Umweltbedingungen der älteren Warmzeit vor 125.000 Jahren (Eem- Interglazial) rekonstruiert.
Sie konnten aufzeigen, dass sich bei wärmeren Temperaturen vor allem kleinere, grundelartige Fischarten durchsetzen und wichtige Speisefische wie die Sardelle (Engraulis ringens) zurückdrängen. Die Entwicklung ist unabhängig von Fischereidruck und Fischereimanagement. Die stärkere Erwärmung des Humboldtstrom-Gebietes als Folge des Klimawandels hat demnach weitreichendere Auswirkungen für das Ökosystem und die weltweite Fischereiwirtschaft als bisher angenommen. Die Ergebnisse sind heute (7. Januar) in der Fachzeitschrift Science erschienen.
Das Meer vor der Westküste Südamerikas gehört heute zu den vitalsten und ertragreichsten Fischgründen der Erde. Rund acht Prozent der globalen Fangmenge an Meerestieren kommt aus den Gebieten vor den Küsten Perus, wo der oberflächennahe Humboldtstrom für eine hohe Nährstoffzufuhr und damit für ausreichend Nahrung für kommerziell genutzte Fischarten wie die Sardelle sorgt. Allein zehn Prozent der gesamten weltweiten Fangmenge an Sardellen kommt aus der Region.
Ein Großteil davon wird zu Fischmehl und -öl verarbeitet und überwiegend in Aquakulturen in China und Norwegen verfüttert. Die Fangmengen für die Sardelle im Humboldt-Auftriebssystem sinken derzeit jedoch erheblich, während kleinere Schwarmfische wie die Grundel zunehmen. Die Ursachen für die Verschiebung der Arten sind bisher noch unklar und Gegenstand der aktuellen Studie.
Forschende des Instituts für Geowissenschaften an der Universität Kiel haben gemeinsam mit Kollegen des GEOMAR Helmholtz Zentrums für Ozeanforschung sowie internationalen Partnern zum ersten Mal die Zusammenhänge zwischen Temperatur, Sauerstoffgehalt, Nährstoffversorgung und dem Vorkommen einzelner Fischarten mit Hilfe von paläo-ozeanographischen Daten aus dem Humboldtstrom-Gebiet untersucht.
Dabei konzentrierten sich die Wissenschaftler auf die ältere Warmzeit vor rund 125.000 Jahren (Eem-Interglazial). Während dieser Zeit herrschten ähnliche Bedingungen wie sie Klimaprojektionen (z.B. der IPCC-Report) spätestens für das Ende des 21. Jahrhunderts vorhersagen: D.h. eine vergleichbare Primärproduktion, aber Wassertemperaturen um zwei Grad Celsius höher als heute und verstärkter Sauerstoffmangel in mittleren Wassertiefen.
Für ihre paläo-ozeanographischen Untersuchungen analysierten die Wissenschaftler an der Uni Kiel vor allem kleine Fischwirbel, die sie aus den Sedimentkernen isolieren konnten. Demnach dominierten in der älteren Warmzeit vor allem kleinere, grundelartige Fische in den Küstengewässern, während die Sardelle nur einen geringen Anteil ausmachte. Fische mit geringerer Körpergröße können sich besser an wärmere Temperaturen anpassen. Sie behalten ihre hohe Aktivität selbst in sauerstoffärmeren Gewässern dank ihrer größeren Kiemenoberfläche im Verhältnis zu ihrem Körpervolumen.
„Die Bedingungen dieser vergangenen Warmzeit, die wir aus unseren Proben rekonstruieren konnten, lassen sich durchaus mit der aktuellen Entwicklung vergleichen und in Zusammenhang mit den Zukunftsszenarien setzen,“ sagt Erstautor der Studie, Dr. Renato Salvatteci, der zurzeit im Center for Ocean and Society des Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS) an der Universität Kiel im BMBF geförderten Projekt Humboldt-Tipping forscht.
„Es gibt demnach einen eindeutigen Regime-Shift hin zu kleineren Fischen, die sich in den warmen, sauerstoffärmeren Bedingungen wohlfühlen. Wir schließen aus unseren Ergebnissen, dass die Folgen des menschengemachten Klimawandels stärkeren Einfluss auf die Entwicklung der Bestände in der Region haben können als bisher angenommen,“ so Salvatteci ( Foto: Erstautor Dr. Renato Salvatteci bei der Probennahme auf dem Forschungsschiff Meteor während einer Expedition vor Peru.) weiter. Kleinere Fische sind schwieriger zu fangen und weniger schmackhaft. Die Auswirkungen auf die Region Peru, das Einkommen der lokalen Fischerei und den weltweiten Handel an Sardellen könnten demnach weitreichende Folgen haben – möglicherweise auch für die globale Ernährungssicherheit.
„Unsere Untersuchungen anhand der Sedimentkerne können uns ziemlich genau Auskunft geben über die Veränderungen und deren Dynamik in hochproduktiven Küstengewässern weltweit, die sich im Zuge unterschiedlicher Klimazustände und über verschiedene Zeitskalen hinweg vollzogen haben,“ erklärt Professor Ralph Schneider, Paläoklimaforscher am Institut für Geowissenschaften an der Universität Kiel und Co-Autor der Studie.
Aufgrund der zunehmenden Erwärmung im Humboldtstrom-Auftriebsgebiet steuert das Ökosystem nach Einschätzung der Forschenden auf einen Kipppunkt zu, ab dem sich die Sardelle zurückzieht und nicht weiter in den küstennahen Fanggründen dominiert. „Trotz einer flexiblen, nachhaltigen und anpassungsfähigen Management-Strategie, haben Biomasse und Anlandungen der Sardelle abgenommen, was darauf schließen lässt, dass wir dem ökologischen Kipppunkt näher sind als vermutet,“ resümiert der Erstautor Renato Salvatteci.
Die Ergebnisse tragen dazu bei, besser einzuschätzen, inwiefern ein sich erwärmender Ozean ausreichend Nahrung für die Weltbevölkerung bereithalten kann und mit welchen Veränderungen die Menschheit für die Entwicklung von wichtigen Fischarten wie der Sardelle rechnen muss.