Bis hin zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der ländliche Raum ist Thema der aktuellen politischen Debatte. Prof. Dr. Martina Klärle, Professorin für Landmanagement an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), befasst sich aus wissenschaftlicher Sicht mit den enormen Veränderungen, denen der ländliche Raum in Deutschland unterliegt. Zudem wohnt sie selbst mit Leidenschaft und aus Überzeugung auf dem Land.
„Den Kopf in den Sand zu stecken nützt nichts. Wir wissen es alle: Der demografische Wandel und die wirtschaftliche Attraktivität der Ballungsräume führen zu starken Veränderungen in den Dörfern – auch in wirtschaftlich starken Regionen der alten Bundesländer wie Hessen, Baden-Württemberg und Bayern“, betont Klärle. „Die Dörfer schrumpfen! Um die Dörfer und ihre historischen Ortskerne trotz Schrumpfungsprozessen für alle Generationen so attraktiv wie möglich zu gestalten, muss mit Nachdruck gehandelt werden. Der ländliche Raum ist das Rückgrat des Ballungsraums, er darf nicht nur auf Landwirtschaft, Erholung und Landschaftsschutz reduziert werden. Er ist Standort für Gewerbe und Industriestandort von Weltmarktführern. Zudem sichert er die Daseinsvorsorge: Er liefert das Trinkwasser, die Lebensmittel und die erneuerbaren Energien und er hat das Potenzial die Wohnungsnot zu lösen. Dies funktioniert aber nur, wenn die Regierungen im Gegenzug den ländlichen Raum so stark wie möglich mit Mobilität und Breitbandnetz versorgen“, fordert Klärle.
„Ein Zitat Ernst Ullrich von Weizsäckers besagt, dass das wirtschaftliche Wachstum vorgestern von der Lage an Flüssen abhing, gestern vom Anschluss an die Eisenbahn und heute von der Lage an den Autobahnen. Diesem Zitat ist hinzuzufügen: Morgen wird das Wirtschaftswachstum von der Anbindung an die Knotenpunkte der Telekommunikation, z.B. Glasfasernetzen, abhängen“, so Klärle. Glasfasernetze bieten in Zukunft adäquate Arbeitsbedingungen, unabhängig vom jeweiligen Standort. „Damit haben ländliche Räume nie gekannte Entwicklungschancen, die allerdings von der Bereitschaft der großen Telekommunikationsanbieter abhängen, den ländlichen Raum flächendeckend mit Glasfasernetzen auszustatten. Jeder, der den ländlichen Raum unterstützen möchte, muss die flächendeckende Erschließung der Daten- und Telekommunikationsnetzte als ein vorrangiges Ziel im Fokus haben.“
„Gerade in der Digitalisierung liegt die Chance des ländlichen Raums. Wenn die Mobilität und die Anbindung an ein schnelles Datennetz sichergestellt sind, dann können moderne und neue Arbeitsformen funktionieren. Es ist egal wo der Mensch arbeitet, denn er ist für den gewöhnlichen Geschäftsverkehr immer mit seinen Kolleginnen und Kollegen und seiner Firma verbunden und durch eine gute und moderne Mobilität auch in überschaubarer Zeit in der Zentrale, egal wo in Deutschland die ansässig ist“, betont Klärle. So werde die Lebensqualität auf dem Land noch wertvoller. „Und so kann der ländliche Raum beispielsweise die in Hessen derzeit pro Jahr fehlenden rund 40.000 Wohneinheiten bereitstellen, denn auf dem Land stehen diese Immobilien – häufig mit mehr Charakter und Identifikation – zur Verfügung.“
Ich möchte nicht, dass – wie in China – die Städte sich vervielfachen, sondern setze auf die Stärkung des ländlichen Raums!
Für Klärle liegt die Attraktivität des ländlichen Raums vor allem in der leichten Nutzung der Fläche, der ländlichen Idylle, der erlebbaren Natur, dem funktionierenden Ehrenamt, dem aktivem Vereinsleben und der Gabe, den Beschleunigungsprozessen der Ballungsräume entgegenzuwirken. Das Leben auf dem Lande berge als „Leben in der Fläche“ aber auch große Nachteile im Hinblick auf die Infrastruktur, wie zum Beispiel große Entfernungen und einen derzeit noch unzureichenden öffentlichen Nahverkehr.
Klärles Fazit lautet daher: „Mit einer Anbindung an das Netz der schnellen und intelligenten Mobilität sowie Breitbandversorgung kann der ländliche Raum mit neuen Arbeitskonzepten die Wohnungsnot aufheben, die Lebensqualität der Menschen steigern und die Produktivität des Landes bei geringeren Kosten erhöhen. In einem so dicht besiedelten Land wie Deutschland mit einer so ausgeklügelten dezentralen Versorgungs- und Verwaltungsstruktur ist das gut machbar. Ich möchte nicht, dass – wie in China – die Städte sich vervielfachen, sondern setze auf die Stärkung des ländlichen Raums! Das funktioniert, wenn Stadt und Land sich wertschätzend gegenseitig auf Augenhöhe unterstützen.“
Zur Person Klärle:
Prof. Dr. Martina Klärle ist seit 2007 an der Frankfurt UAS Professorin für Landmanagement mit dem Forschungsschwerpunkt Erneuerbare Energien. Beispiele für Forschungsprojekte sind das Solarkataster SUN AREA, die Potenzialanalyse für Windkrafträder WIND AREA, das Gründachkataster GREEN-AREA und DORF-Komm, ein Leitfaden für die dörfliche Entwicklung. Als Mitglied des Direktoriums war sie maßgeblich für den Aufbau des Frankfurter Forschungsinstituts Architektur, Bauingenieurwesen und Geomatik (FFin) der Frankfurt UAS verantwortlich und ist stellvertretende Direktorin des Center for Applied European Studies (CAES) der Hochschule. Als Dekanin, Prodekanin und Studiengangsleiterin im Fachbereich Architektur, Bauingenieurwesen, Geomatik konnte sie sich ein umfangreiches Wissen in der Selbstverwaltung aneignen. Seit 2007 gewann sie für die Hochschule rund eine Million Euro Drittmittel und veröffentlichte rund 100 Artikel, Beiträge und Fachbücher. Derzeit ist Klärle im dienstlichen Interesse an das Hessische Wirtschaftsministerium entsendet und mit der Geschäftsführung der Hessischen Landgesellschaft mbH (HLG) betraut. Als Landmanagerin ist sie hier Patin des ländlichen Raums. Von dort wird sie im kommenden Jahr an die Hochschule zurückkehren, da Klärle im Juli 2018 zur Vizepräsidentin der Frankfurt UAS für die Schwerpunkte Forschung, Weiterbildung und Transfer gewählt wurde. Die Amtszeit beginnt am 1. April 2019.