Fische können bei der Passage durch Wasserkraftturbinen schwer verletzt werden. Um zu beurteilen, wie nachhaltig die Wasserkraft tatsächlich ist, braucht es deshalb verlässliche Daten zur turbinenbedingten Fischsterblichkeit. Ein Forschungsteam des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat diese in einer erstmals globalen Betrachtung in der Fachzeitschrift Conservation Biology vorgelegt. Durchschnittlich werden an Wasserkraftanlagen 22,3 Prozent der Fische getötet oder weisen nach der Passage schwere, potenziell tödliche Verletzungen auf.
Weltweit nimmt die Zahl der Wasserkraftanlagen rasant zu. Allein in Europa sind bereits 21.000 Anlagen in Betrieb, 8.500 weitere sind geplant. Doch wie wirkt sich das auf die Fischbestände in den betroffenen Flüssen aus? Um besser abzuschätzen, wie viele Tiere den Turbinen zum Opfer fallen und welche Unterschiede es zwischen Fischarten und Turbinentypen gibt, erstellten und analysierten IGB-Forschende einen globalen Datensatz mit mehr als 275.000 einzelnen Fischen aus 75 Arten.
Die Mortalitätsbewertungen stammen von Feldversuchen an 122 Wasserkraftstandorten unterschiedlicher Größe in 15 Ländern weltweit. Zu den erfassten Turbinentypen zählen unter anderem Kaplan-, Francis- und Very-Lowhead-Turbinen mit sehr geringer Fallhöhe, aber auch archimedische Schrauben und Wasserräder.
„Die turbinenbedingte Fischsterblichkeit wird zwar schon länger untersucht, aber meist nur an einzelnen Standorten. Unsere Studie liefert nun erstmals eine globale Betrachtung und berücksichtigt dabei unterschiedlichste Fischarten und Turbinentypen. Das macht diesen Datensatz und dessen Auswertung so einzigartig und aussagekräftig“, erklärt IGB-Forscher Dr. Johannes Radinger, Erstautor der Studie.
Risiko hängt von Fischlänge, Art und den verbauten Turbinen ab:
Besonders von einer Schädigung gefährdet sind Fischarten mit ausgeprägtem Wanderverhalten wie Lachse, Störe oder Aale, die im Laufe ihres Lebenszyklus zwischen Flüssen und Meer hin- und herwandern und dabei Turbinen passieren müssen. Betroffen sind aber auch Populationen sogenannter potamodromer Fische – also Flussfischarten, die über lange Distanzen innerhalb der Flusssysteme wandern (z.B. Barbe oder Nase). Für wandernde Populationen sind vor allem die summierten Auswirkungen mehrerer Wasserkraftanlagen problematisch.
„Bei der Analyse dieses globalen Datensatzes haben wir ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet, die Unsicherheiten der einzelnen Studien bezüglich des Umgangs mit den Fischen und methodischer Unterschiede der Fischbestandsaufnahmen adäquat zu berücksichtigen, um die Belastbarkeit der festgestellten Mortalitätsraten zu gewährleisten“, sagt Radinger. Das Ergebnis ist eindrücklich: Im Mittel erleidet jeder fünfte Fisch (22,3 Prozent) beim Passieren einer Wasserkraftturbine tödliche Verletzungen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fisch beim Turbinendurchgang geschädigt wird, hängt unter anderem von seiner Größe, der Art, dem Lebensstadium und anderen biologischen Merkmalen ab. Je größer der Fisch, desto höher ist in der Regel sein Sterberisiko. Doch auch der Turbinentyp ist entscheidend: Langsam drehende Turbinen wie Very-Lowhead-Turbinen und Wasserräder sind im Vergleich zu den meisten konventionellen Turbinenarten weniger schädlich. Doch selbst bei konventionellen Turbinentypen zeigt die Analyse eine große Variabilität von Sterblichkeitsraten, was besonders interessant ist. Es gibt also durchaus Wasserkraftwerke mit Turbinenkonfigurationen, die zu geringeren Sterblichkeitsraten führen.
Fischschonende Turbinen
Den Goldstandard bilden Turbinen, die aufgrund technischer und betrieblicher Konfigurationen die Fischsterblichkeit reduzieren und zugleich in Kombination mit funktionierenden und modernen Fischauf- und Fischabstiegsanlagen die Tiere erfolgreich daran hindern, überhaupt in die Turbinen zu gelangen. Noch sind solche Anlagen allerdings die absolute Ausnahme. Die Entwicklung fischschonender bzw. die Anpassung herkömmlicher Turbinen sollte deshalb mit standardisierten, kontrollierten Methoden unter realistischen Feldbedingungen evaluiert werden, empfehlen die Forscher.
Standards nötig
Sie betonen außerdem die Relevanz über die Grenzen Deutschlands und Europas hinaus: Angesichts des anhaltenden Wasserkraftbooms in besonders artenreichen, großen Flusssystemen sei die weltweite Einführung eines Mindeststandards für den Fischschutz drängender denn je. Nur so ließe sich der Bedarf an erneuerbarer Energie mit dem Schutz der biologischen Vielfalt und der ökologischen Verbesserung von Flussökosystemen in Einklang bringen. Das Autorenteam weist außerdem ausdrücklich darauf hin, dass auch ausgesprochen fischschonende Anlagen negative Auswirkungen auf ganze Flussökosysteme haben, durch u.a. die Verhinderung des Sedimenttransports oder Eingriffe in das natürliche Abflussregime.
Datensätze wie dieser zur Fischmortalität klären über die ökologischen Kosten der Wasserkraft auf und tragen somit zu einer fundierten Abwägung bei. Schließlich erfordert eine Debatte über die tatsächlichen Auswirkungen von Wasserkraftanlagen auf die Populationsökologie von Fischen und den Erhalt der biologischen Vielfalt eine Berücksichtigung vertrauenswürdiger Daten zu den unterschiedlichsten Gefährdungsursachen.