Der Klimawandel verändert unsere Ökosysteme kontinuierlich. Doch wie werden sie in Jahren oder gar Jahrzehnten aussehen? Die französische Ökologin Sonia Kéfi möchte hierfür Modelle entwickeln – an der Uni Würzburg.
Viele Fragestellungen in der Biologie sind quantitativ, Forscherinnen und Forscher arbeiten daher immer häufiger mit großen Datensätzen. Um diese Herausforderung zu meistern, wurde an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg das Center for Computational and Theoretical Biology (CCTB) gegründet. Seine Aufgabe: Die Entwicklung und Anwendung neuer Ansätze für die Analyse großer Datenmengen, der Bildverarbeitung und der Modellierung komplexer biologischer Prozesse.
Die Forschungsgruppe Ökosystemmodellierung hat nun für ein neues Projekt Verstärkung bekommen: Dr. Sonia Kéfi vom CNRS (Centre national de la recherche scientifique) der Universität Montpellier (Frankreich) wurde mit dem Friedrich-Wilhelm-Bessel-Preis der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ausgezeichnet. Mit dem Preisgeld von 45.000 Euro kann Kéfi im Ausland ein Forschungsprojekt angehen. Ihr Wunschort war die JMU, speziell das CCTB, in dem sie nun mit Professor Juliano Sarmento Cabral zusammenarbeitet.
Biodiversität verstehen
Die Ökosystemmodellierung befasst sich mit dem Ursprung und Erhaltung von Biodiversität in allen Maßstäben. Der Fokus der Forschungsgruppe um Cabral konzentriert sich auf die Entwicklung von mechanischen Simulationsmodellen. Die virtuellen Modelle können zur Überprüfung von Theorien, zur Verbesserung empirischer Stichproben oder zur Vorhersage der Reaktion der biologischen Vielfalt auf Umweltveränderungen verwendet werden.
Die Humboldt-Stipendiatin Kéfi will mit ihrem Aufenthalt an der JMU erforschen, wie Ökosysteme auf Veränderungen reagieren – besonders wenn diese Veränderungen menschengemacht sind. Das können landwirtschaftliche Nutzung, Besiedelung oder auch der Klimawandel sein. „Grundsätzlich möchte ich die Mechanismen verstehen, die es Ökosystemen ermöglichen, sich an neue Gegebenheiten anzupassen“, erklärt Kéfi, die sich auf Trockengebiete spezialisiert hat.
Von der Theorie zur Praxis
Dieses fundamentale Wissen will Kéfi auch für die Praxis nutzbar machen: Sie will mittels Ökosystemmodellen Indikatoren finden, die zeigen, wann ein Ökosystem fragil wird. So könnten Schutzmaßnahmen besser priorisiert werden: „Wenn wir in Langzeitprognosen sagen können, dass ein Gebiet fragiler ist als das andere, dann können wir unsere Ressourcen besser nutzen, um diese Gebiete vor katastrophalen Veränderungen zu schützen.“
Kéfi und Cabral nutzen hierfür unterschiedliche Ansätze: Kéfi nutzt eher simple Modelle, die nicht auf ein konkretes Gebiet ausgerichtet sind. Damit werden generelle Mechanismen in der Veränderung von Ökosystemen untersucht. Das Team um Cabral an der JMU nutzt hingegen sehr detaillierte mechanische Modelle, die auch für eine bestimmte Region kalibriert und mit Daten gefüttert werden können. „Wenn wir unsere beiden Herangehensweisen verbinden, also grundlegende Mechanismen mit detaillierten Modellen koppeln, dann können wir nicht nur neue Erkenntnisse gewinnen, sondern die Aussagekraft unserer Vorhersagen in den Modellen verbessern“, erklärt Kéfi.
„Wir wird sich die Natur verändern? Wie wird das unseren Lebensstil verändern? Und wie können wir unserer Gesellschaft helfen, sich an diese neue Umwelt anzupassen? Das sind die großen Herausforderungen, die uns vor allem wegen des Klimawandels beschäftigen werden“, so die Ökologin. Sie ist sich sicher: „Wir müssen verstehen, wie unsere Umwelt funktioniert, um sie zu schützen. Wenn die Natur verschwindet oder sich drastisch verändert, werden wir mit einem Problem konfrontiert, das über alle anderen Herausforderungen im Bereich des Klimawandels hinausgeht.“
Werdegang und Motivation
Für ihren Forschungsschwerpunkt war das Würzburger CCTB Kéfis erste Wahl: „Das Institut ist etwas Besonderes. Die Größe ist genau richtig, so dass man sich mit allen Teams eng austauschen und diskutieren kann. Es wurde von jungen Professorinnen und Professoren aus verschiedenen Feldern gegründet und ich persönlich genieße dieses interdisziplinäre Umfeld sehr“, erklärt Kéfi.
Die Ökologin studiere an der AgroParisTech, an der sie 2004 ihren M.Sc. erlange. 2008 promovierte sie in Environmental Studies an der Utrecht University (Niederlande), 2011 wechselte sie an das CNRS und habilitierte 2018 an der Universität Montpellier (Frankreich). Von 2014 bis 2019 war die Leiterin des BioDICée lab (Biodiversity Dynamics: Interactions and Conservation) an der Universität Montpellier. Seit 2020 ist sie Leiterin des Departments CHANGE am Institut des Sciences de l’Evolution an der Universität Montpellier und externe Professorin am Santa Fe Institute (USA).
Ursprünglich überlegte Kéfi Mathematik zu studieren, aber: „Ich wollte in einem Bereich arbeiten, der einen direkten Nutzen für die Gesellschaft hat.“ Die Ökologie war für sie ein passender Mix aus Mathematik und Biologie. „Vor dem Hintergrund des Klimawandels habe ich mich schon früh für Fragen interessiert wie ‚Wie funktioniert die Natur?‘ ‚Wie passt der Mensch in die Natur?‘ Und ‚Wie wird die Zukunft der Menschheit in dieser sich verändernden Umwelt aussehen?‘.“ Ein großer Teil ihrer Arbeit sei zwar theoretisch. Aber ihr Ziel sei es, effektive Werkzeuge zu entwickeln, um Ökosysteme zu schützen.