Nach Nordamerika eingeschleppte Regenwürmer beeinträchtigen die oberirdisch lebende Insektenfauna. Diese Beobachtung beschreiben Bodenökologen unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Universität Leipzig in der Fachzeitschrift Biology Letters. Dies gilt sowohl für die Häufigkeit und Biomasse als auch die Artenzahl der Insekten. Die Ergebnisse zeigen, dass Veränderungen von Artengemeinschaften wie etwa Insekten bisher noch wenig beachtete Ursachen haben können. Diese sollten zum Schutz und Management der Insektengemeinschaften stärker berücksichtigt werden.
Mindestens seit der letzten Eiszeit vor ca. 10.000 Jahren gab es im nördlichen Teil Nordamerikas so gut wie keine Regenwürmer. Allerdings wurden sie in den letzten Jahrhunderten, vermutlich über Erd- und Pflanzentransporte aus Europa, wieder eingeführt. Seitdem breiten sie sich aus und verändern den Boden erheblich – mit tiefgreifenden Folgen für das Bodenökosystem. Welche Auswirkungen die Invasoren, also nicht-heimischen Eindringlinge, jedoch auf die oberirdische Welt haben, wurde bislang wenig untersucht.
In einem Waldstück nahe Calgary in Kanada, in dem es sowohl von Regenwürmern besiedelte als auch nicht-besiedelte Teile gibt, fingen die Forschenden mit Insektensaugern die oberirdischen Insekten und verglichen die Fänge. Dabei stellten sie fest, dass sich die Häufigkeit, Biomasse und auch Artenzahl auf Flächen, die von Regenwürmern besiedelt waren, von solchen ohne Reenwürmer erheblich unterschieden. Auf den regenwurmreichsten Flächen ging die Zahl der Insektenindividuen um 61 Prozent zurück, ihre Biomasse um 27 Prozent und die Artenzahl um 18 Prozent.
Oberirdische Insekten durch invasive Regenwürmer beeinträchtigt
„Wir hatten erwartet, dass Regenwürmer auch Auswirkungen auf oberirdische Insekten haben würden“, sagt Erstautor Dr. Malte Jochum von iDiv und der Universität Leipzig. „Ich war aber doch überrascht, wie stark diese Auswirkungen waren und dass sowohl die Häufigkeit als auch die Biomasse und die Artenzahl betroffen waren.“
Über welche Mechanismen die Regenwürmer die Insekten beeinflussen, ist jedoch noch unklar. „Möglich wäre, dass die Würmer oberirdisch lebenden Insekten, die totes Pflanzenmaterial zersetzen, wie etwa Käfer und Fliegenlarven, die Nahrung und ihren Lebensraum wegfressen“, meint Jochum. Da Insekten zu einem Großteil Pflanzenfresser sind, läge auch die Vermutung nahe, dass der beobachtete Insektenrückgang auf eine Veränderung der Vegetation zurückzuführen ist, ausgelöst durch Veränderungen im Boden.
Eine signifikante Veränderung der Pflanzen-Artenzahl oder -Deckung konnten die Forscherinnen und Forscher jedoch in diesem Fall nicht feststellen. „Damit ist der Einfluss über die Pflanzen jedoch nicht ausgeschlossen“, sagt Jochum. Die Daten zur Artenzusammensetzung und zu weiteren Eigenschaften der Pflanzengemeinschaften müssen jedoch erst noch ausgewertet werden.
Auffällig war auch die Zunahme der Prädatoren, also der räuberisch lebenden Insektenarten und der Spinnen. Sie scheinen von den Veränderungen zu profitieren.
Unbeachtete Ursachen von Biodiversitätsveränderungen berücksichtigen
„Als Erklärung für die globalen Veränderungen der Insektengemeinschaften werden bisher nur wenige Ursachen herangezogen, allen vorweg Lebensraumveränderungen über der Erde“, sagt Senior-Autor Prof. Nico Eisenhauer von iDiv und der Universität Leipzig. „Die neuen Ergebnisse zeigen, dass Biodiversitätsverlust aber durchaus auch weitere, bisher kaum beachtete Ursachen haben kann, die bei entsprechenden Naturschutzmaßnahmen berücksichtigt werden müssen.“
Eingeschleppte Regenwurmarten gibt es nicht nur in Nordamerika, sie kommen auf fast allen Kontinenten vor. Da in Nordamerika jedoch für sehr lange Zeit nur sehr wenige Regenwürmer vorhanden waren, ist ihr Effekt hier besonders groß. „Für Regionen wie Mitteleuropa, wo die heimischen Artengemeinschaften sich gemeinsam mit den Regenwürmern entwickelt haben, sind Probleme durch neue Regenwurmarten deshalb kaum zu erwarten“, meint Jochum. „Ganz im Gegenteil. Hier sind sie bedeutende Lebensraumingenieure, von denen viele wichtige Ökosystemfunktionen abhängen.“