Der Angriffskrieg auf die Ukraine zerstört nicht nur tausende Menschenleben und ganze Städte, sondern erhöht auch das Risiko für Hungersnöte weltweit. In einem heute (1. April 2022) veröffentlichten offenen Brief an die Bundesregierung rufen Forscherinnen und Forscher der Universität Göttingen sowie zahlreicher weiterer Forschungsinstitute dazu auf, sofort eine Transformation des Ernährungssystems einzuleiten, um den verheerenden Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine und der sich gegenseitig verstärkenden Krisen (Klimawandel, Artenvielfalt, Friedensicherung) entgegenzuwirken.
Sie empfehlen ein Bündel konkreter kurz- und mittelfristiger Maßnahmen zur Reduktion des Fleischkonsums, der Lebensmittelabfälle sowie des Anbaus von Energiepflanzen. Die Forscherinnen und Forscher sehen nicht nur politischen Handlungsdruck, sondern auch Handlungsoptionen für eine strategische Neuausrichtung der Agrar- und Ernährungspolitik.
Der federführende Autor, Dr. Lukas Fesenfeld von der ETH Zürich und der Universität Bern, fasst zusammen: „Die kurzfristige Freigabe von Brachflächen ist keine ausreichende Lösung: um sowohl den unmittelbaren Folgen des Ukraine Kriegs als auch den großen Herausforderungen unserer Zeit – Klimawandel, Artensterben, Pandemien und Friedenssicherung – wirksam entgegenzutreten, spielt die rasche Reduktion des Fleischkonsums, der Lebensmittelabfälle sowie des Anbaus von Energiepflanzen für die Bioethanol-Herstellung eine besonders wichtige Rolle. Von zentraler Bedeutung für eine umfassende Transformation des Ernährungssystems ist, dass nun rasch produktions- und konsumseitige Maßnahmen strategisch ineinandergreifen.“
Laut des offenen Briefes könnten die derzeit für die Bioethanol-, Futtermittel- und Tierproduktion genutzten Agrarflächen verstärkt für den Anbau pflanzlicher Lebensmittel für den menschlichen Konsum genutzt werden. Zur Veranschaulichung: Rund 10 Quadratmeter Ackerfläche bringen entweder Getreide für zirka 1 Kilogramm Schweinefleisch oder für mindestens 10 Kilogramm Brot für die Welt. Flankierend müssten die produzierenden Betriebe ausreichend bei der Umstellung unterstützt werden, so die Forscherinnen und Forscher.
Mitautor Dr. Dominic Lemken von der Universität Göttingen merkt an: „Es geht darum, politischen Akteuren Optionen aufzuzeigen, die nicht langfristige Umweltressourcen und Produktionskapazitäten gefährden, sondern kurz- und langfristige Perspektiven für die Sicherung unserer Ernährung schaffen.“
In ihrem offenen Brief schlagen die Autorinnen und Autoren konkrete Maßnahmen vor, zum Beispiel eine geringere Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte sowie eine erhöhte Mehrwertsteuer für Fleischprodukte. Darüber hinaus könnten Vorgaben zur Flächenbindung und Umbauprämien für Landwirtinnen und Landwirte, Bildungsprogramme zur Ernährungsumstellung und ein Fond zur Förderung einer nachhaltigen Ernährung in der Außer-Haus-Verpflegung die Entwicklung fördern.
Sie fordern zudem eine rasche Anpassung der Beimischungsquote, um die Nutzung von Bioethanol aus Energiepflanzen zu reduzieren. Auch auf EU-Ebene müsse sich die Bunderegierung deutlich für eine Transformation des globalen Ernährungssystems einsetzen, so die Forderung. Jeder Mensch könne zudem als Individuum selbst Schritte zu weniger Fleischkonsum einleiten, um die globale Versorgung mit Lebensmitteln zu verbessern und der Klimakrise entgegenzuwirken.