Ein Forschungsteam unter Leitung der schweizerischen Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL stellt in Nature Climate Change die fünf längsten Zeitreihen der Welt zum Frühlingsaustrieb von Bäumen vor. Darunter sind auch Kirschbäume im Kanton Basel-Landschaft und Rosskastanien in Genf. In allen Reihen treten Blattentstehung und Blüte immer früher auf, ein deutliches Zeichen für die globale Erwärmung, die sich seit den 1980er Jahren stark beschleunigt hat.
Weil die Temperaturen im Frühling immer wärmer werden, finden auch viele biologische Phänomene früher statt, zum Beispiel die Brut von Vögeln oder den Blühbeginn und Blattaustrieb von Bäumen. Diese Naturereignisse beobachten Menschen schon seit Jahrhunderten, die weltweit fünf längsten Zeitreihen werden hier vorgestellt. Sie alle stimmen verblüffend gut mit der Beschleunigung der globalen Erwärmung ab den 1950er Jahren überein, die sich in den 1980er Jahren nochmals verstärkte.
Die mit Abstand längste Zeitreihe ist jene zur Kirschblüte in Kyoto, Japan, die ein wichtiges kulturelles Ereignis ist und deren Beginn schon seit 812 n.Chr. festgehalten wird. Die älteste Zeitreihe in Europa ist jene der Marsham-Familie, die von 1736 bis 1958 den Blattaustrieb von mehreren Laubbäumen im Südosten von Grossbritannien aufzeichnete. Ganz in der Nähe notiert sich eine Anwohnerin namens Jean Combes schon seit 1950 den Blattaustrieb von Eichen und anderen Baumarten. «Der Beitrag von Hobbyforschenden zu diesen Zeitreihen ist unschätzbar», sagt Vitasse.
Gleich zwei der fünf Zeitreihen befinden sich in der Schweiz: Seit 1808 beobachtet der Grand Conseil de la République et canton de Genève eine Rosskastanie (den «Marronnier de la Treille»), und seit 1894 überwachen das Landwirtschaftliche Zentrum Ebenrain und MeteoSwiss einen Kirschbaum im Kanton Basel-Landschaft.
Sechs bis 30 Tage früher ausgetrieben
Im Schnitt dieser Zeitreihen begann der Blatt- oder Blütenaustrieb in der Zeitspanne 1985 bis 2020 um sechs (in China) bis 30 Tage (in der Schweiz) früher als vor 1950. Besonders eindrücklich: Die Kirschblüte in Kyoto begann im Frühling 2021 so früh wie nie zuvor in den letzten 1200 Jahren. Dabei befinden sich diese fünf Zeitreihen nicht einmal in jenen Weltregionen, wo sich das Klima am stärksten erwärmte, wie etwa in Zentralasien. «Dort ist zu erwarten, dass die zeitliche Verschiebung von Ereignissen im Lebenszyklus von Organismen noch extremer ausfällt», sagt Vitasse.
Die Zeitreihen des Blühbeginns und Blattaustriebs sind nicht nur perfekte Indikatoren für die Wissenschaft, sondern auch ein leicht zu beobachtendes Phänomen für die Bevölkerung, sogar für Kinder. «Sie sind konkrete, anschauliche Anzeiger für die Beschleunigung des Klimawandels», sagt Erstautor Yann Vitasse von der Forschungsgruppe Ökosystem-Ökologie der WSL.
Die Phänologie, also die Wissenschaft, die biologische Prozesse im Zusammenhang mit jahreszeitlichen Klimaschwankungen untersucht, könnte daher ein sehr gutes Instrument sein, um über die Auswirkungen des Klimawandels auf lebende Organismen zu informieren. Sie könnte Politiker und künftige Generationen für die Dringlichkeit des derzeitigen Klimawandels und seiner Folgen sensibilisieren, so die Forscher.