Unternehmensvertreter erwarten, dass die Digitalisierung zu einer besseren Umweltbilanz ihres Unternehmens beiträgt. Ihre konkreten Erfahrungen zeichnen jedoch ein weniger positives Bild: Bislang helfen die neuen Technologien kaum bei der Verbesserung der Ressourceneffizienz. Um das Potenzial der Industrie 4.0 zu nutzen, braucht es laut Forschenden auch politische Unterstützung.
Die industrielle Produktion muss grundlegend verändert werden, wenn die UN-Nachhaltigkeitsziele erreicht werden sollen. Zwei Hauptziele stehen dabei im Vordergrund: Dekarbonisierung und Dematerialisierung. Ziel der Dekarbonisierung ist die Reduktion von klimaschädlichen Gasen, vor allem CO2.
Bei der Dematerialisierung geht es darum, wirtschaftliche Produkte und Dienstleistungen mit einem Minimum an Materialeinsatz zu erzeugen und so weit wie möglich auf umweltverträgliche Materialien oder Prozesse zu setzen. Ein internationales Team um IASS-Forschungsgruppenleiter Grischa Beier untersuchte die Potenziale von Industrie 4.0 für diese beiden Ziele per Online-Umfrage unter Unternehmensvertretern in China, Brasilien und Deutschland, in einer Vielzahl von Industriesektoren und in Unternehmen unterschiedlicher Größe.
Mit größerer Erfahrung sinken die Erwartungen
Die Mehrheit der Industrievertreter – 53 Prozent in Deutschland, 82 Prozent in Brasilien und 67 Prozent in China – erwarten eine Verbesserung der Umweltwirkung ihres Unternehmens durch den Einsatz von Industrie-4.0-Technologien. Besonders hoch ist dieser Anteil bei Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitenden in Deutschland und Brasilien.
Große Unterschiede beobachteten die Forschenden in einigen Ländern zwischen den Sektoren: In Brasilien sind die Erwartungen für den Maschinen- und Anlagenbau besonders optimistisch (100 Pro-zent), in Deutschland für den Elektronik-Sektor (75 Prozent) und den Automobilbereich (58 Prozent). In China gibt es hingegen keine großen Unterschiede zwischen den Sektoren.
Die bisherigen Erfahrungen, etwa in Bezug auf Ressourceneffizienz und Energieverbrauch, stützen die hoffnungsvollen Erwartungen jedoch nur zum Teil. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es eine zu hohe Erwartungshaltung bei den Unternehmen gibt, die noch wenig Erfahrung mit Industrie 4.0 haben. Je weiter das jeweilige Unternehmen mit der Umsetzung war, umso moderater waren beispielsweise die Erwartungen für die tatsächlichen Energieeinsparungen“, sagt Erstautor Grischa Beier. Auch frühere Studien hätten wenig Hinweise darauf ergeben, dass es hier zu erheblichen systematischen Einsparungen kommen würde.
Industrie 4.0 hilft, die Produktion an der Nachfrage auszurichten
Ein erfreuliches Ergebnis der Studie ist, dass Unternehmen mit einem hohen Digitalisierungsniveau durchaus positive Potenziale für ihre Ökobilanz verzeichnen: Je höher das derzeitige Industrie-4.0-Niveau der Unternehmen ist, desto größer ist ihre Fähigkeit, ihre Produktivität an der Nachfrage auszurichten. Zudem steigt ihre Bereitschaft, ihre Produktionszeiten flexibel an die Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom anzupassen. Dies ist laut den Forschenden eine wichtige Voraussetzung für die Stabilisierung und effiziente Nutzung künftiger erneuerbarer Energiesysteme.
Ihre Schlussfolgerung ist, dass Industrie 4.0 nur mit politischer Unterstützung zu Umweltverbesserungen führen wird. „Unsere Studie zeigt, dass die Umsetzung des Konzepts Industrie 4.0 vor dem Hintergrund der UN-Nachhaltigkeitsziele kritisch hinterfragt werden sollte: Die reine Digitalisierung von Unternehmensprozessen wird für einen Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft nicht reichen.
Damit das volle Potenzial der Digitalisierung für die Nachhaltigkeit genutzt wird, braucht es ergänzend eine Kombination aus Regulierung und Anreizen, wozu auch die Festlegung verbindlicher Ziele für die Einsparung von Energie und Material gehört“, erklärt Grischa Beier. Auch wenn die Ergebnisse ein gemischtes Bild zeichnen, werde doch deutlich, dass die breite Umsetzung von Industrie 4.0 Chancen für mehr ökologische Nachhaltigkeit von Unternehmen bietet.