Konfliktforschung zum östlichen Europa wird gebündelt

Ukrainische Flagge Pixabay/jorono 1037 Bilder

In einem BMBF-geförderten Kompetenznetz werden bundesweit sechs Einrichtungen die Forschung zu Konflikten im östlichen Europa in den kommenden vier Jahren bündeln und weiterentwickeln. In der Region kam es unter anderem infolge der politischen Neuordnung nach dem Kalten Krieg zu gewaltsamen und bis heute andauernden Auseinandersetzungen. Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wird sich das Netzwerk nun veränderten Forschungsfragen und -bedingungen stellen müssen.

Das östliche Europa beschäftigt die Friedens- und Konfliktforschung seit vielen Jahren. Nirgendwo sonst gab es seit dem Ende des Kalten Krieges so viele, teils bis heute ungelöste Sezessionskonflikte und neue Staatsgründungen. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine führt dies auf erschütternde Weise erneut vor Augen.

Dennoch wird das Netzwerk gerade jetzt weitere Konfliktkonstellationen, aber auch Dynamiken von Kooperation in Osteuropa, Südosteuropa, Zentralasien und dem Kaukasus in den Blick nehmen. So konnte der Sezessionskonflikt um Transnistrien in der Republik Moldau zwar nicht beigelegt werden, aber in den vergangenen Jahren wurden pragmatische Lösungen für Alltagsprobleme gefunden und offene Kommunikationswege zwischen Chişinău und Tiraspol geschaffen.

Zusammenhänge zu erklären und zu verstehen, ist das Ziel des Kompetenznetzes „Kooperation und Konflikt im östlichen Europa“ (KonKoop), das vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) ab April 2022 koordiniert wird. Mitglieder des Netzwerks sind das Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) in Regensburg, das Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) in Leipzig, der Lehrstuhl für Internationale Beziehungen der Universität Jena, die Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNEE) sowie das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam.

„Es gibt in Deutschland hervorragende Forschung und viel Praxiswissen zu unterschiedlichen Konflikten im östlichen Europa, aber sie liegen bisher nur verstreut vor und werden deshalb auch international zu wenig wahrgenommen. Diese Expertise soll das Kompetenznetz bündeln“, erklärt die wissenschaftliche Direktorin des ZOiS, Gwendolyn Sasse. „Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine stellt uns vor die Herausforderung, Osteuropa-, Konflikt-, und Fluchtforschung noch gezielter zu verknüpfen und zu kommunizieren“, führt sie weiter aus.

In fünf Themenfeldern wollen Forschungsteams herausfinden, wie Konflikte im östlichen Europa entstehen, welche Akteure beteiligt sind und welche Faktoren sie vorantreiben oder deeskalieren, aber auch welche Bedingungen Sicherheit garantieren oder Kooperation ermöglichen.

• Wann kommt es bei einer politischen Neuordnung, wie dem Zerfall der Sowjetunion oder Jugoslawiens, zu gewaltsamen Konflikten?
• Welche Bedeutung haben ethnische oder religiöse Identitäten und Zuschreibungen?
• Welche Rolle spielen wirtschaftliche Interessen bei der Entstehung, aber auch bei der Lösung von Konflikten?
• Wie wirken sich Umweltwandel und Ressourcenknappheit aus?
• Was bedingt den Spielraum für Friedensverhandlungen und die Umsetzung von Friedensabkommen?
• Wie kann eine Sicherheitsordnung in Europa in Zukunft gestaltet und institutionalisiert werden?

Fragen wie diese müssen sowohl für unterschiedliche Orte als auch für unterschiedliche Zeitpunkte oder Konfliktstadien vergleichend untersucht werden, und sie erfordern die Expertise unterschiedlicher Fachrichtungen.

„Die Partner im Netzwerk bringen ganz unterschiedliche Themen ein, die uns auch in der aktuellen Situation deutlich vor Augen geführt werden. Wenn über die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen, über die Rolle von ethnischen Minderheiten, die Position der verschiedenen orthodoxen Kirchen zum Krieg oder über Russlands historische Rechtfertigung des Kriegs diskutiert wird, rührt das an die grundlegenden Fragestellungen des Netzwerks“, erläutert die Sozialgeographin Sabine von Löwis. Um diese Beziehungen offenzulegen und für Konfliktlösungen nutzbar zu machen, führen die Netzwerkpartner ihre regionale und inhaltliche Kompetenz zusammen.

Zentral für die Zukunft der Friedens- und Konfliktforschung zum östlichen Europa wird die vom IOS koordinierte multidisziplinäre und standortübergreifende Nachwuchsgruppe sein. Gemeinsam mit erfahrenen Forschenden des Netzwerks und internationalen Partner*innen werden die Nachwuchswissenschaftler*innen – also Promovierende und Post-Doktorand*innen – eng zusammenarbeiten und ihr wissenschaftliches Profil schärfen. Dass die Expertise junger Wissenschaftler*innen mit Bezug auf das östliche Europa in Zukunft dringend benötigt wird, zeigen die aktuellen Ereignisse auf tragische Weise überdeutlich.

In einem vom ZOiS koordiniertem Datenlabor sollen die Ergebnisse der Forschungen gebündelt und der Fachgemeinschaft verfügbar gemacht werden. In einem vom IfL koordiniertem Visualisierungslabor will das Netzwerk die Ergebnisse für die Wissenschaft, Vermittlungsakteure, Medien und die Öffentlichkeit sichtbar und nachvollziehbar machen. In diesem Zusammenhang ist die Zusammenarbeit mit Praxispartnern besonders wichtig.

„Wir wollen auch an das Wissen von Organisationen anknüpfen, die bei der Konfliktvermittlung, Berichterstattung oder Aufbauarbeit jahrelange Erfahrung haben. Mit ihrer Hilfe können wir besser verstehen, wo es Bedarf gibt, der mit wissenschaftlicher Forschung angegangen werden kann, indem wir diese Organisationen etwa bei der Formulierung von Forschungsfragen einbinden“, unterstreicht Gwendolyn Sasse. „Zum anderen wollen wir natürlich gemeinsam Wege suchen, im Rahmen von Wissenstransfer Forschungsergebnisse für die praktische Arbeit fruchtbar zu machen“, ergänzt sie.