„Der Krieg in der Ukraine hat eine Energie- und Ressourcenkrise ausgelöst“

Ukrainische Flagge Pixabay/jorono 1037 Bilder

Dass wir nicht nur das Energie-Angebot fossilfrei machen, sondern auch die Energie-Nachfrage dämpfen müssen, war eine Kernbotschaft des jüngsten Berichts des Weltklimarats. Erstmals gab es ein Kapitel zu „nachfrageseitigen Klimalösungen“, bei denen die Politik auf Verhaltensänderungen bei Mobilität, Wohnen und Ernährung zielt. Jetzt sagt der für dieses Kapitel federführende Wissenschaftler, welchen Stellenwert das im Kontext der aktuellen Energiepreiskrise haben könnten.

Der dreiseitige Meinungsartikel von Felix Creutzig, Koordinierender Leitautor des Weltklimarats und Gruppenleiter am Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change), ist veröffentlicht in der renommierten Fachzeitschrift Nature.

„Der Krieg in der Ukraine hat eine Energie- und Ressourcenkrise ausgelöst“, argumentiert Creutzig. Das erfordert entschlossenes Handeln, genauso wie die Klimakrise – „und zum Glück überschneiden sich diese beiden Handlungsfelder. Nachfragebasierte Lösungen sind effizient, schnell und billig. Sorgfältig konzipiert und umgesetzt können sie in der Zukunft die Treibhausgasemissionen und Klimarisiken senken und heute die Abhängigkeit von russischen Exporten verringern.“ Auf den Punkt gebracht bedeutet dies, dass die Politik nach Möglichkeit auch Verhaltensänderungen unterstützen sollte: „Baut mehr Nahrungsmittel und weniger Futter an, fahrt und fliegt weniger, dreht das Thermostat runter!“

Das ist zugespitzt, aber es unterstreicht die Kernbotschaft des Artikels: So manche Klimaschutz-Maßnahme, über die man ewig im Kreis diskutiert hat, wird angesichts der wirtschaftlichen und energiepolitischen Folgen des Ukraine-Kriegs jetzt womöglich einfach mal gemacht. Dabei geht es für die Bürgerinnen und Bürger weniger um neue Vorschriften oder Verbote als um neue Möglichkeiten der Entscheidungsfindung. Die Wissenschaft spricht von „Choice Architecture“: Durch Anreize, Infrastrukturen, aber auch Information und Aufklärung kann die Politik sozusagen auf freundliche Art das Energienutzungsverhalten beeinflussen.

So könnte sie mit Blick auf die Spritpreise die Arbeitgeber dazu bewegen, im Rahmen des betrieblich Möglichen auch nach dem Ende von Corona viel Homeoffice zu erlauben. Und das Fahrrad pushen, indem sie das in der Pandemie entstandene Konzept der städtischen Pop-up-Radwege weiterentwickelt. Das Stromsparen ließe sich zum Beispiel fördern mit uhrzeitabhängigen Tarifen oder im Haushalt platzierten digitalen Erfolgsmeldern. Und im Falle einer Gasknappheit im nächsten Winter könnte die Regierung mit dem Appell, nach Möglichkeit 19 Grad Raumtemperatur zu akzeptieren, die soziale Norm beeinflussen.

Energieverbrauch im Autoverkehr: So manche Klimaschutz-Maßnahme, über die man ewig im Kreis diskutiert hat, wird jetzt womöglich einfach mal gemacht. | Foto: Shutterstock/Designifty

 

Auch das fürs Klima wichtige Thema Ernährung bekommt in der aktuellen Krise zusätzliche Relevanz. Creutzig verweist darauf, dass Tierfutter mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Produktion in den USA und der EU ausmacht: Würde allein in Europa bei der nächsten Aussaat ein Drittel der entsprechenden Fläche auf Weizen und anderes für Menschen essbares Getreide umgestellt, würde das den derzeitigen, für den globalen Süden höchst bedrohlichen Ausfall des Großlieferanten Ukraine schon komplett ausgleichen. Nur 12 Prozent der im Tierfutter enthaltenen Kalorien landen letztlich in menschlicher Nahrung, deshalb ist das Ernährungsverhalten sehr klimarelevant. Die Politik kann es zum Beispiel über Vorgaben an Kantinen beeinflussen, hauptsächlich fleischfreie Gerichte anzubieten.

In Einklang mit Berechnungen des Weltklimarats, und um die Klimakrise im Kontext mit der Energie- und Ressourcenkrise zu sehen, mündet der Artikel in einer provokanten Aussage: Mit einem Zehn-Punkte-Katalog nachfrageseitiger Klimalösungen könnte die EU binnen eines Jahres 20 Prozent der russischen Gas- und 60 Prozent der Öllieferungen ersetzen – und zugleich würde das, sofern weltweit alle Industrie- und sogar die ostasiatischen Schwellenländer mitziehen, die globalen Treibhausgas-Emissionen um 2,9 Prozent senken. Zu den zehn Punkten zählen auch viel diskutierte Themen wie Tempolimit, autofreie Sonntage und Kurzstreckenflüge. Aber die Debatten ändern sich ja gerade: „Ohne solche Schritte“, warnt Creutzig in seinem Artikel, „können die Regierungen die Preisspirale in der nächsten Zeit bestenfalls verlangsamen.“