Die Lebensbedingungen für Wälder in Höhenlagen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten infolge des Klimawandels signifikant verändert. In vielen Gebirgsregionen sind sie oberhalb der Baumgrenze mittlerweile günstiger als in tiefer gelegenen bewaldeten Gebieten geworden. Dennoch hat der Klimawandel bisher nicht dazu geführt, dass Wälder sich hieran direkt anpassen und sich in höhere Regionen verlagern. Dies belegt eine neue biogeographische Studie der Universität Bayreuth am Beispiel der Mittelmeerinsel Kreta. In der Zeitschrift „Forest Ecosystems“ stellen die Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse vor. Sie warnen vor den möglichen Folgen.
Der Abgleich von Klimadaten und archivierten Luftaufnahmen aus den Jahren von 1945 bis 2015 zeigt, dass die Bäume im Gebirgsmassiv Lefka Ori, den „Weißen Bergen“ Kretas, jahrzehntelang die gleichen Flächen besiedeln – und dies, obwohl sich ihre Lebensbedingungen aufgrund des klimabedingten Temperaturanstiegs in diesem Zeitraum zusehends verschlechtert haben.
„Unsere Studie zeigt beispielhaft, dass Ökosysteme nicht immer mit den nötigen Anpassungsleistungen auf Klimaänderungen reagieren, um Verschlechterungen ihrer Standortbedingungen auszugleichen. Auch in vielen anderen Regionen der Welt, in denen Folgen des globalen Klimawandels nachweisbar sind, gibt es keine Anzeichen, dass dadurch benachteiligte oder sogar gefährdete Bergwälder in höhere Regionen ausweichen. Die in Modellen erwartete Verschiebung der Baumgrenze findet in der Realität oft nicht statt. Umso wichtiger ist es, dass Politik und Gesellschaft rechtzeitig auf die damit verbundenen Gefahren reagieren: So steigt nicht zuletzt im Mittelmeerraum die Wahrscheinlichkeit von Bränden oder von Dürreschäden in Wäldern unterhalb der Baumgrenze. Dies wiederum schwächt die ökologisch wichtige Funktion von Bergwäldern bei der Kohlenstoffspeicherung. Auch Erosionsprozesse können hierdurch gefördert werden. Hinzu kommt, insbesondere auf Kreta, die wachsende Gefährdung vieler endemischer Arten“, sagt Prof. Dr. Carl Beierkuhnlein, der die Forschungsarbeiten koordiniert hat.
Um der Frage nachzugehen, ob der globale Klimawandel eine Verschiebung der Baumgrenzen nach sich zieht, haben die Bayreuther Forschern die Mittelmeerinsel Kreta ausgewählt, weil hier die Voraussetzungen für eine solche Studie ungewöhnlich günstig waren.
„Es ist für die Forschung ein seltener Glücksfall, dass von einer Gebirgsregion Luftaufnahmen mit einer relativ hohen Auflösung existieren, die einen Zeitraum von 70 Jahren abdecken und mit hinreichender Genauigkeit erkennen lassen, ob sich die Baumbestände verändert haben. So konnten wir anhand von Klimadaten und neuen geoinformatischen Methoden einen jahrzehntelangen Klimawandel dokumentieren. Gleichzeitig konnten wir nachweisen, dass die in den Bergen Kretas heimischen Bäume sich dennoch nicht in höhere Regionen verlagert haben“, sagt die Erstautorin Mirela Beloiu, die an der Universität Bayreuth promoviert hat und mittlerweile als Postdoc an der ETH Zürich tätig ist.
Die Forschungsarbeiten auf Kreta wurden in enger Zusammenarbeit mit dem Fernerkundungslabor am Institute of Applied and Computational Mathematics der Foundation for Research and Technology Hellas (FORTH) durchgeführt. Dieses Institut stellte auch die historischen und neueren Luftaufnahmen zur Verfügung.
Die Forscher benennen in ihrer Studie mehrere klimatische und topographische Faktoren, die möglicherweise dazu beitragen, dass die Bergwälder Kretas an ihren jahrzehntealten Standorten verharren: Während des Untersuchungszeitraums stieg die mittlere Jahrestemperatur an der Baumgrenze um 0,81 Grad Celsius an, während sich der durchschnittliche Niederschlag um 170 Millimeter verringerte. Die zunehmende Trockenheit ist offenbar ein Stressfaktor, der die Ausbreitung der Pflanzen hemmt. Zudem sind die Regionen oberhalb der Baumgrenze sehr heftigen Winden ausgesetzt.
Daher finden junge Bäume nicht den Schutz, den sie für eine Ansiedlung in höheren Lagen benötigen. „Wenn Ökosysteme, wie beispielsweise die Hochgebirgswälder auf Kreta, infolge topografischer Gegebenheiten nicht auf klimatische Veränderungen reagieren und sich nicht angemessen schützen können, sollten Möglichkeiten ausgelotet werden, wie der Mensch durch ein kreatives Naturmanagement ihre Anpassung stärken kann“, sagt Beierkuhnlein.