Die Verschmutzung der Umwelt mit Chemikalien bedroht die Artenvielfalt. Die Komplexität dieser Verschmutzung werde von Entscheidungsträger*innen bisher aber unzureichend erfasst – das schreiben internationale Forscher um Gabriel Sigmund von der Universität Wien und Ksenia Groh vom Wasserforschungsinstitut Eawag (Dübendorf, Schweiz) in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Science“. Sie appellieren an Entscheidungsträger*innen und Forschende, mehr Chemikalien als bisher vorgesehen in den Blick zu nehmen. Ihr Beitrag erscheint kurz vor den internationalen Verhandlungen zu einem neuen Biodiversitätsabkommen, dem „post-2020 Global Biodiversity Framework“. Diese finden ab dem 21. Juni in Nairobi (Kenia) statt.
„Im Entwurf zu dem Abkommen wird chemische Verschmutzung zwar erwähnt, er berücksichtigt jedoch nur Nährstoffe, Pestizide und Plastikmüll und greift damit zu kurz“, erklärt Umweltwissenschafter Gabriel Sigmund. „Viele hochproblematische Chemikalien, welche die Umwelt verschmutzen und damit die Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten bedrohen, geraten damit schlichtweg aus dem Blick“, ergänzt Ökotoxikologin Ksenia Groh.
Dadurch werde das Abkommen der immensen Vielfalt menschengemachter Chemikalien nicht gerecht. Bisher im Entwurf für das Abkommen nicht berücksichtigt, aus Perspektive der Forschenden jedoch problematisch seien toxische Metalle, Industriechemikalien, Chemikalien aus Konsumgütern, Arzneimittel sowie die oft unbekannten Umwandlungsprodukte dieser Chemikalien.
Chemikalien verringern Widerstandsfähigkeit von Lebewesen
Die chemischen Schadstoffe wirken sowohl direkt als auch indirekt auf Organismen in der Umwelt und können damit zum Rückgang oder sogar zum Aussterben empfindlicher Arten beitragen. So sind beispielsweise die Populationen von Orca-Walen vor den Küsten Kanadas, Brasiliens, Japans und Gibraltars bedroht, weil sie hohe Konzentrationen von Industriechemikalien in ihrem Körper aufweisen. Passen sich Pflanzen und Tiere an die chemische Belastung an, kann sich außerdem ihre genetische Vielfalt verringern.
„Nimmt die genetische Vielfalt der Lebewesen ab, dann sinkt auch ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Stressfaktoren wie der globalen Erwärmung und anderen Aspekten des globalen Wandels“, mahnt Groh.
„Solche indirekten Effekte der chemischen Verschmutzung und unzählige weitere Wechselwirkungen mit anderen Stoffen, die die biologische Vielfalt und die Ökosysteme bedrohen, werden ignoriert, wenn der Fokus auf Nährstoffe, Pestizide und Plastik begrenzt wird“, erklärt Sigmund, der Umweltschadstoffe am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien erforscht.
Forschende fordern interdisziplinäre Anstrengungen und politische Unterstützung
Um die komplexen Wechselwirkungen zu erfassen, seien nach Meinung der Forscher*innen gemeinsame Anstrengungen interdisziplinärer Forschungsteams unerlässlich. „Trotzdem haben weder die wissenschaftliche Gemeinschaft noch die Fördergeber*innen unseres Erachtens bisher erkannt, wie brisant das Thema und wie notwendig zusätzliche Forschung sind“, bedauert Sigmund.
„Was man aber bisher weiß, rechtfertigt es bereits, die Maßnahmen im Rahmen der Biodiversitätskonvention auf eine breitere Palette chemischer Schadstoffe auszuweiten“, betont er.
Das so genannte „post-2020 Global Biodiversity Framework“ ist ein neuer Strategieplan, der international politische Entscheidungen zum Thema Biodiversität bis 2030 anleiten soll. Er wird im Kontext des multilateralen Abkommens zur biologischen Diversität – der „Convention on Biological Diversity“ – ausgehandelt. Die Entscheider treffen sich vom 21. bis zum 26. Juni zur nächsten Verhandlungsrunde in Nairobi (Kenia).