Marine Ökosysteme verändern sich durch den Klimawandel, auch im Mittelmeer. Dort spielen bisher kaum untersuchte Rotalgenmatten offenbar eine besondere Rolle als Zufluchtsort für viele unterschiedliche Tiere. Die Abteilung Marine Ökologie der Universität Bremen hat nun überraschende Ergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift Communications Biology publiziert. Sie basieren auf den zusammengefassten Erkenntnissen aus sechs Bachelorarbeiten von Studierenden der Universität Bremen.
Nahezu alle marinen Ökosysteme weltweit sind vom anthropogenen Klimawandel bedroht. Die durch den Klimawandel verursachte Ozeanerwärmung, oft in Kombination mit Überfischung und Überdüngung, führen zum Wandel dieser Ökosysteme. So lassen sich weltweit Veränderungen der Meeresboden-Gemeinschaften beobachten: Wirbellose Tiere wie Korallen oder Pflanzen wie Seegräser, die Lebensräume bilden, werden dabei oft durch Algen ersetzt.
Häufig geht mit diesen Veränderungen ein Verlust an charakteristischen Ökosystemfunktionen wie struktureller Komplexität und Biodiversität, also der Vielfalt von Lebewesen, einher. Im Mittelmeer werden klassische Lebensräume mit hoher Biodiversität, wie Seegraswiesen oder Hornkorallenwälder auf felsigem Untergrund, aktuell an vielen Standorten von Rotalgenmatten überwachsen. Wissen über diese Veränderungen und ihre Konsequenzen ist jedoch kaum vorhanden.
Wissenschaftler eines internationalen Forschungsprojekts unter Leitung der Abteilung Marine Ökologie der Universität Bremen in Partnerschaft mit dem Institut für marine Biologie auf der Insel Giglio, Toskana, Italien, haben an mehreren Standorten rund um Giglio die Artenzusammensetzung und -vielfalt innerhalb der Rotalgenmatten untersucht und mit benachbarten Seegraswiesen verglichen.
Neu gebildete Ökosysteme verstehen
„Unser Wissen über diese Rotalgenmatten, die immer häufiger zu werden scheinen, ist arg limitiert. Forschungsprojekte, die Licht ins Dunkle bringen, sind also notwendig um diese neuen Ökosysteme verstehen zu können“, erklärt Professor Christian Wild, Leiter der Abteilung für ‚Marine Ökologie‘ der Universität Bremen. Sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr. Yusuf C. El-Khaled ist Erstautor der Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift Communications Biology veröffentlicht wurde.
Vermutung: Rotalgen haben eine Schlüsselfunktion
Insgesamt sechs Bachelorarbeiten von Studierenden der Universität Bremen, die diese Rotalgenmatten untersucht haben und deren Ergebnisse in diesem Artikel synoptisch zusammengeführt wurden, haben spannende Ergebnisse erzielt. Alle sechs Bachelorstudierenden sind auch Co-Autoren der Publikation.
„Wir haben gezeigt, dass das typische Bild von artenarmen, algendominierten Ökosystemen in diesem Fall nicht der Realität entspricht. Ganz im Gegenteil, diese Rotalgenmatten stecken voll von kleinen wirbellosen Tieren wie Seesternen, Muscheln, Röhrenwürmern, Moostierchen, und Seescheiden. Sowohl die Artenzahl als auch die Zahl der Individuen übersteigen die der benachbarten Seegraswiesen deutlich“, sagt El-Khaled. „Alle gängigen Indizes, die typischerweise für einen Vergleich der Biodiversität herangezogen werden, haben gezeigt: Diese Rotalgen sind hinsichtlich ihrer Wirbellosengemeinschaft nicht nur vergleichbar mit den Seegraswiesen, sondern ihre Biodiversität ist ähnlich oder übersteigt sogar die von anderen bekannten Biodiversität-Lebensräumen wie Korallenriffen oder Mangrovenwäldern.“
„Wir vermuten, dass diesen langlebigen Rotalgenmatten eine Schlüsselfunktion zukommen könnte, da Seegraswiesen und Hornkorallenwälder nicht nur – aber auch – im Mittelmeer bedroht und in ihrer Verbreitung rückläufig sind“, führt Professor Wild aus. „Diese Rotalgenmatten könnten also als ein Zufluchts-Lebensraum für wirbellose Tiere in schwierigen Zeiten fungieren. Sollten Schutzmaßnahmen für Seegraswiesen und Hornkorallenwälder erfolgreich sein und der derzeitige Rückgang gestoppt oder umgekehrt werden, könnte eine Neubesiedlung aus den Rotalgenmatten stattfinden – wo viele Tiere, die anderswo nicht mehr vorkommen, eine Zuflucht gefunden haben“.