acatech Impuls fordert Neuaushandlung sicherheitspolitischer Prioritäten

Ukrainische Flagge Pixabay/jorono 1037 Bilder

Deutschland und seine internationalen Partner müssen strategische Souveränität erreichen und dabei Sicherheit, Resilienz und Nachhaltigkeit integrieren. Ein heute erschienener Impuls von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften entwickelt entsprechende Handlungsoptionen. Dazu gehören die Bildung resilienter Wertschöpfungs- und Innovationsnetzwerke, eine beschleunigte Energiewende mit klarem Gesamtkonzept sowie eine reformierte, strategische Beschaffung von Rüstungsgütern nach dem Motto „Ausrüsten statt Aufrüsten“. All dies erfordere eine Neuaushandlung von Prioritäten und zentrale politische Verantwortung ausgehend vom Bundeskanzleramt.

„Um Frieden und Wohlstand zu ermöglichen, sollte die Folgerung aus dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine lauten, strategische Souveränität zu erlangen und zu festigen, um gleichermaßen Sicherheit, Resilienz und Nachhaltigkeit gewährleisten zu können.“ So lautet das Fazit der Autorengruppe um acatech Präsident Jan Wörner und Vizepräsident Christoph M. Schmidt (RWI). Jan Wörner: „Sicherheit, Resilienz und Nachhaltigkeit benötigen Innovation, um strategische Souveränität zu erreichen. Dazu muss Deutschland kritische Abhängigkeiten abbauen und statt vulnerabler Ketten stabile Wertschöpfungs- und Innovationsnetzwerke knüpfen – gemeinsam mit seinen europäischen und weltweiten Partnern. Nationaler Egozentrismus und Autarkiestreben führen uns nicht weiter.“

Christoph M. Schmidt betont, wie wichtig die Integration dieser Ziele ist: „Sicherheit, Resilienz, Nachhaltigkeit sind eng verbundene, aber eigenständige und gleichrangige Ziele. Sie treten zum Ziel wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit hinzu, der Basis für Wohlstand und sozialen Zusammenhalt. Der Schlüssel, diese Ziele gleichrangig zu erreichen, ist strategische Souveränität. Mit ihr bewahren wir unser freiheitliches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft. Innovationen sind die unverzichtbare Voraussetzung, um diese Souveränität zu erlangen und zu sichern.“

European Defence Agency stärken, Beschaffungswesen der Bundeswehr reformieren

Eine zukunftsfähige Sicherheitspolitik stützt sich dem acatech Impuls zufolge auf eine starke Ökonomie, auf leistungsfähige Innovations- und Beratungskultur und auf eine hohe Akzeptanz internationaler Kooperationen und Gemeinschaften wie der NATO und der EU. Die European Defence Agency (EDA) solle gestärkt und mit mehr Befugnissen ausgestattet werden. Die EU solle europäische Militärübungen intensivieren und die Idee einer europäischen Armee konkretisieren.

Die Bundeswehr müsse strategisch neu ausgerüstet – statt nur aufgerüstet – werden: Wichtig werden untereinander vernetzte Systeme. In strategisch besonders zentralen Bereichen wie der Sensorik brauche Deutschland eigene Kompetenzen. Bei weniger kritischen Themen biete sich eine gemeinsame europäische Produktion an oder auch der Zukauf auf dem Markt. Unausweichlich werde eine Reform der Bundeswehrverwaltung: So wiesen etwa die im Jahr 2018 laufenden Großprojekte eine durchschnittliche Verzögerung von über fünf Jahren auf. Vorbilder in einer Beschaffungs-Reform können die USA, Schweden und Australien sein.

Eine Modernisierung militärischer und ziviler Sicherheit braucht Forschung. Ihr stehen Zivilklauseln in der Wissenschaft entgegen, die Forschung auf zivile Zwecke beschränken. Diese seien angesichts der geänderten Voraussetzungen zu überdenken. Jedoch müsse Forschung für militärische Zwecke immer durch eine Begleitforschung und den Dialog mit den Beteiligten und der Gesellschaft flankiert werden. Ein synergetischer Mitteileinsatz könne Innovationen auch im zivilen Bereich fördern.

Wertschöpfungs- und Innovationsnetze müssen anfällige Ketten ersetzen

Die Arbeitsgruppe fordert eine aktive Resilienz-Politik: Im Dialog mit Wirtschaft und Wissenschaft solle die Politik kritische Wertschöpfungsketten identifizieren. In diesen Bereichen sollen Staat und Unternehmen die Verteilung von Risiken und Handlungsverantwortung aushandeln. Wichtige Themen seien die Einführung einer Resilienz-Berichterstattung, Versicherungsnotwendigkeiten sowie Institutionen für Resilienz-Monitoring und Regulierung. Der dafür notwendige Aushandlungsprozess erfordere eine Plattform für Risikomanagement und Resilienz.

Mehr Resilienz schaffe die Weiterentwicklung bislang linear strukturierter Wertschöpfungs-, Liefer- und Innovationsketten zu mehrdimensionalen Netzen. Deren Anpassungsfähigkeit kann durch Informationstransparenz, Redundanzen (über erhöhte Lagervorhaltung oder auch alternative Technologien) sowie Diversifikation der Forschung und Entwicklung (also eine Förderung und Verfolgung mehrerer paralleler Forschungsaktivitäten) noch weiter erhöht werden.

Deutschland braucht ein Gesamtkonzept und internationale Abstimmung

Nachhaltigkeit und die Dekarbonisierung der Energiesysteme dürfen angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen nicht in den Hintergrund rücken. Die Abhängigkeit von russischem Erdgas mindere bereits heute die Handlungsoptionen der Bundesregierung. Klimapolitik sollte der Autorengruppe zufolge in einen systemischen Ansatz hin zu strategischer Souveränität, Sicherheit, Resilienz und Nachhaltigkeit eingebettet werden. Dies erfordere ein Gesamtkonzept für das Energiesystem, das Akteure, Gegenstände und Fristen klar benennt.

Ein solches Gesamtkonzept sollte zentral im Bundeskanzleramt koordiniert und in arbeitsteiligen Projektgruppen organisiert werden. Auch hier sei kritisch zu prüfen, welche Aufgaben rein marktwirtschaftlich organisiert werden können: Bei der Energieträger- und Rohstoffbeschaffung habe es die Wirtschaft häufig mit Staaten oder staatlichen Unternehmen zu tun, nicht mit industriellen Marktakteuren. Eine stärkere Vernetzung der europäischen Energiesysteme würde die Resilienz der Energieversorgung weiter erhöhen und kurzfristig nationale Abhängigkeiten verringern, beispielswiese durch alternative Pipelines, Terminals für LNG, den Ausbau der Stromnetze und eines Strombinnenmarktes. Eine europäisch abgestimmte Energiepolitik ist nach Ansicht der Expertengruppe unabdingbar.

Eine Neuaushandlung von Prioritäten braucht offenen Diskurs

Jan Wörner sieht den acatech Impuls als Eröffnung einer Debatte: „Wir brauchen eine Neuaushandlung von Prioritäten in offenem Diskurs, der auch vor schwierigen Themen nicht zurückschreckt. Die Integration der Themen Sicherheit, Resilienz und Nachhaltigkeit kann uns einen Schub hin zu mehr strategischer Souveränität und hin zu Klima- und Umweltschutz geben. Dafür wird sich acatech vertiefend einbringen.“