Die Gemeinde Wüstenrot bei Heilbronn ist ein Vorbild für die Energiewende auf dem Land. Seit zehn Jahren baut sie ihre Energiesysteme nachhaltig um – Stück für Stück – mithilfe von Forschungsprojekten der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT Stuttgart). Damit möchte sie unabhängig von externen Energielieferungen werden. Am 15. Juli lädt sie Akteur:innen aus Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ein zur Eröffnung ihres Energie-Erlebnis-Pfads mit wichtigen Stationen der Energiewende. Mit intelligenten Energiesystemen sowie Stromerzeugung aus Sonne, Erdwärme und Biomasse setzt Wüstenrot auf die eigene Unabhängigkeit. Die Gemeinde gilt als Vorreiterin und Best-Practise-Beispiel. Fach-Delegationen aus ganz Deutschland informieren sich vor Ort. Besuch gab es bereits aus China, Japan, Brasilien und aus der Karibik.
Testfeld für Innovationen
Die Zusammenarbeit ist ein Gewinn für beide Seiten. „Die Gemeinde ermöglicht es uns, Innovationen in der Praxis zu testen“, so Dr. Dirk Pietruschka, Leiter des Zentrums für Nachhaltige Energietechnik der HFT Stuttgart. „Wir haben durch die HFT Stuttgart und ihre Impulse profitiert“, betont Wüstenrots Bürgermeister Timo Wolf: „Betrachtet man die Jahresbilanz, produzieren wir mehr Strom als wir verbrauchen können.“ Den überschüssigen Strom ihrer Photovoltaik-Anlagen speist die Gemeinde ins Netz zurück, was ihr gesetzlich vom Netzbetreiber vergütet wird.
Weitgehend unabhängig von Großkonzernen
Die Gemeinde hat vor 10 Jahren ihr Stromnetz von einem großen Energie-Konzern zurückgekauft und mit Mainhardt und den Stadtwerken Schwäbisch Hall die Energieversorgung Mainhardt Wüstenrot gegründet. „Gemeinsam sind wir weitgehend unabhängig von Großkonzernen. Wir legen Wert darauf, dass unser Strom möglichst umweltschonend und regional erzeugt wird“, so Thomas Löffelhardt, Fachbereich Planen und Bauen, Energie und Technik der Gemeinde.
Kalte Nahwärme
Stück für Stück kommt seit 2012 ein neues Puzzle-Teil dazu: Das erste Projekt der Energiewende war ein „Kaltes Nahwärme-Netz“ in einer Plus-Energie-Siedlung (Vordere Viehweide). Sie ist gekoppelt mit einem großflächigen Erdwärme-Kollektor (zwei Meter unter einer 1,5 Hektar großen Wiese) und mit den Wärmepumpen und Photovoltaik-Anlagen der einzelnen Gebäude. Es galt als eines der ersten Praxis-Projekte dieser Art. Das Beispiel ist national und international übertragbar. Heute weiß Dirk Pietruschka von ca. 40 solchen Projekten bundesweit.
Heizen mit Holzhackschnitzel
Nach und nach wurden öffentliche Gebäude neu gebaut, saniert oder umgerüstet, vor allem PV-Anlagen und Solarthermien wurden installiert. Wüstenrot spart durch Maßnahmen jährlich ungefähr 30 Prozent der Kosten fürs Heizen und Kühlen seiner öffentlichen Gebäude, schätzt Löffelhardt. Im alten Ortskern wurde ein Biomasse-Heizkraftwerk errichtet, das mit Holzhackschnitzeln betrieben wird. An dieses Netz können sich Bürgerinnen und Bürger anschließen, alternativ zur Ölheizung.
E-Carsharing auf dem Land
Die nächste Herkulesaufgabe betrifft die Mobilitätswende auf dem Land, wo der Öffentliche Nahverkehr anders als in den Städten nicht im Viertel-Stunden-Takt verkehrt. Wie erreichen die Menschen auch
ohne einen privaten PKW die nächsten Knotenpunkte des ÖPNV in der Nähe, um von dort in die umliegenden Städte zu gelangen? Sharing-Konzepte gelten hier als nachhaltigere Lösungen. Aktuell wird ein E-Carsharing im Projekt „Smart2Charge“ erprobt. Beteiligt sind die Disziplinen Energietechnik, Wirtschaft, Wirtschaftspsychologie und Mobilitätsforschung, um Ausgestaltung und Geschäftsmodelle mit der Bürgerschaft in Workshops zu entwickeln.
Bidirektionales Laden – E-Autos als Zwischenspeicher
In einem E-Carsharing werden mehrere Familien der Plus-Energie-Siedlung zusätzlich das bidirektionale Laden testen. Sie können damit die Batterien der E-Fahrzeuge aufladen und auch Energie ins Hauses zurückspeisen, um den Strom fürs Spaghetti kochen oder Wäschewaschen zu verwenden. Ein Aspekt bei zunehmender E-Mobilität: „Die Akkus vieler E-Autos könnten künftig als Zwischenspeicher verwendet werden und dafür sorgen, dass das Stromnetz entlastet wird“, erklärt Dirk Pietruschka. Parallel plant die Gemeinde ein großes Carsharing mit der Evangelischen Stiftung Lichtenstern, die als Flottenbetreiberin inklusive Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen schaffen kann. Auch ein regionales Autohaus, die Gemeinden Obersulm und Mainhardt sowie die Stadt Löwenstein sollen beteiligt werden.
Energie-Erlebnis-Pfad – analog und virtuell mit erweiterter Realität
Der Energie-Erlebnis-Pfad ist als Attraktion analog und mit virtueller, erweiterter Realität in 3-D konzipiert. Er wurde vom europäischen Förderprogramm Leader gefördert und vom Regierungspräsidium Stuttgart unterstützt. Er baut auf ein Projekt der Geoinformatik der HFT Stuttgart auf, zusammen mit dem Landesamt für Geoinformation und Landesentwicklung.