Um dem Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten, könnte sich die EU bei der Gestaltung ihrer künftigen Agrarpolitik an sechs Grundsätzen orientieren. Dies sind die Kernpunkte der Empfehlungen von über 300 Wissenschaftlern aus 23 EU-Mitgliedstaaten, die im Auftrag der EU-Kommission konsultiert wurden. Koordiniert wurde der Prozess vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), dem Thünen-Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen und der Universität Rostock.
Mit jährlichen Ausgaben von rund 55 Milliarden Euro (etwa 31 % des gesamten EU-Haushalts 2021 bis 2027) kann die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU ein wichtiges Instrument sein, um den Verlust der biologischen Vielfalt auf den landwirtschaftlichen Flächen der EU aufzuhalten. Die GAP verfügt bereits über drei wichtige Maßnahmen zur Förderung der biologischen Vielfalt, nämlich (1) verpflichtende Standards, an die sich die Landwirte halten müssen (Cross Compliance), (2) Fördermaßnahmen für eine bessere Bewirtschaftung, Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen sowie (3) das 2014 eingeführte Greening mit drei Maßnahmen zur Verbesserung der Direktzahlungen. Trotz dieser Maßnahmen nimmt die biologische Vielfalt in der Landwirtschaft weiterhin ab.
Im Sommer 2020 forderten Mitglieder der Europäischen Kommission europäische Wissenschaftler auf, evidenzbasierte Empfehlungen dazu abzugeben, wie die neu aufgestellte GAP besser zur Erhaltung der biologischen Vielfalt beitragen kann. Der freiwillige, unabhängige Prozess, der dieser Aufforderung folgte, wurde von iDiv, UFZ, Thünen-Institut und der Universität Rostock koordiniert und in Zusammenarbeit mit vielen anderen europäischen Forschungseinrichtungen durchgeführt.
Der Prozess umfasste 13 Workshops und eine Online-Umfrage, die zwischen 2020 und 2021 durchgeführt wurden. Mehr als 300 Wissenschaftler und weitere Experten aus 23 europäischen Mitgliedsstaaten aus den Bereichen Ökologie, Agrarwissenschaften, Wirtschaft und Sozialwissenschaften nahmen an dieser Konsultation teil. Dr. Guy Pe’er, Ökologe bei iDiv und am UFZ und Hauptautor der Studie, betont: „Die direkte Interaktion mit der Europäischen Kommission war einzigartig und äußerst motivierend. Alle Wissenschaftler nahmen freiwillig teil, weil sie wussten, dass ein Interesse daran besteht, ihre Expertise und ihr Wissen zur Verbesserung der GAP zu nutzen. Dies zeigt, wie wichtig und nützlich es ist, den Dialog zwischen Wissenschaft und Politik zu stärken“.
In der Studie, die aus diesen Konsultationen hervorging, heben die Autoren sechs Grundsätze hervor, die für den erfolgreichen Biodiversitätsschutz durch die GAP entscheidend sind:
• Schutz und Wiederherstellung von (halb-)natürlichen Landschaftselementen und extensivem Grünland,
• Belohnung von Vielfalt und Multifunktionalität, z. B. durch Zahlungen, die proportional zum Umweltnutzen sind, oder durch die Bündelung von Maßnahmen, die zusammen mehrere Umweltziele erfüllen,
• Verbesserung der Raumplanung, damit die Maßnahmen auf Landschaftsebene umgesetzt werden,
• Unterstützung der kooperativen und koordinierten Umsetzung der GAP, z. B. durch Gruppen von Landwirten-, um die Zusammenarbeit untereinander zu verbessern, wodurch größere Gebiete abgedeckt werden könnten,
• Ausweitung ergebnisorientierter Ansätze, bei denen die Landwirte mehr Freiraum bei der Erreichung eines bestimmtes Umweltziels erhalten – im Gegensatz zu Ansätzen, die Landwirten vorschreiben, was zu tun ist,
• Förderung einer besseren Kommunikation und eines stärkeren Engagements mit und unter den Landwirten, um die Umsetzung von Pflichtmaßnahmen und die Akzeptanz freiwilliger Maßnahmen zu verbessern.
Ein besonderer Schwerpunkt der Studie liegt auf dem neuen GAP-Instrument „Öko-Regelungen“ (Eco-Schemes). Über diese könnten die aktuell verfügbaren Mittel, zur Erhaltung der biologischen Vielfalt fast verdoppelt werden. Die Autoren zeigen auf, welche Maßnahmen wahrscheinlich wirksam sind (wie, zum Beispiel, Brachflächen und extensiv-genutztes Grünland). Sie warnen aber auch vor dem Risiko, dass große Teile des Budgets der Öko-Regelungen für die Beibehaltung des Status quo ausgegeben werden, anstatt die Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen zu verbessern.
„Dieses Risiko ist durchaus realistisch, wenn man sich die von den Mitgliedstaaten vorgelegten Strategiepläne ansieht“, sagt Pe’er. „Die Strategiepläne sollten verbessert werden – entweder vor ihrer Umsetzung oder kurz danach. Bei den Anpassungen muss auch die Weltmarktsituation berücksichtigt werden. Außerdem müssen wir sicherstellen, dass wir nicht den Zusammenbruch von Ökosystemen und Ernteausfälle herbeiführen, indem wir als Reaktion auf den Krieg noch mehr Druck auf die Flächen und die Biodiversität ausüben“, so Pe’er.
Prof. Sebastian Lakner, Agrarökonom an der Universität Rostock und Mitautor der Studie, betont: „Unsere Studie kommt zu einem wichtigen Zeitpunkt, da der Krieg in der Ukraine auch zu Turbulenzen auf den internationalen Agrarmärkten geführt hat. Gerade in einer solchen Zeit der multiplen Krisen brauchen wir rationale und kosteneffiziente Entscheidungen. Angesichts des hohen Preisniveaus auf dem Weltmarkt sollten wir höhere Zahlungen für Öko-Regelungen und Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AECM) in Betracht ziehen, um die erforderlichen Biodiversitätseffekte in der EU zu erzielen. Mit kleinen Änderungen können wir die knappen Steuermittel besser nutzen und in effiziente Öko-Regelungen und AECM investieren. Ohne eine solche zielgerichtete Anpassung kann diese GAP-Reform 2021 zu einer verpassten Chance werden.“