Langzeitbefund: Mikroplastikverschmutzung im Nordost-Atlantik

Die Proben zur Mikroplastikverschmutzung wurden von einer Sinkstofffalle gesammelt, die in 2000 Meter Wassertiefe an dem mitten im Nordost-Atlantik verankerten Azoren-Observatorium „Kiel 276“ befestigt ist. J. Waniek IOW

Forscherinnen des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) analysierten erstmals eine Langzeitprobenserie zur Mikroplastikverschmutzung im Nordost-Atlantik aus 2000 m Wassertiefe hinsichtlich Anzahl, Größe, Masse, Material und möglicher Herkunft der Partikel. Die Proben wurden zwischen 2003 – 2015 mit einer Sinkstofffalle im Madeira-Becken gesammelt. Art und Menge der Plastikpartikel variierten stark, machten aber bis zu 8 % des gesamten Partikelniederschlags aus. Häufigste Plastikarten waren Polyethylen und PVC. Die Ergebnisse liefern Einblicke in die zeitliche Variabilität von absinkendem Mikroplastik und damit einen ersten Ansatz, um dessen Verbleib im Ozean zu verstehen.

Kaum eine vom Menschen verursachte Umweltverschmutzung – sowohl an Land als auch im Wasser – ist so verbreitet wie Mikroplastik. Und obwohl es für fast jedes Ökosystem, und sei es noch so abgelegen, wie etwa die Arktis oder Tiefseesedimente, Nachweise für Mikroplastik gibt, existieren grade für die Ozeane große Wissenslücken hinsichtlich Herkunft, Verbleib und zeitlicher Variabilität. „Dabei ist Mikroplastik in vielerlei Hinsicht gefährlich für die Meeresumwelt“, sagt Janika Reineccius vom IOW, Erstautorin der kürzlich veröffentlichen Studie zur Langzeitbeobachtung von Mikroplastikverschmutzung in tiefen Wasserschichten des offenen Nordost-Atlantik. „Mikroplastik kann bestimmte Giftstoffe adsorbieren und auf diese Weise über weite Strecken transportieren, sowohl horizontal als auch vertikal. Die verschiedensten Lebewesen fressen solche ‚vergifteten‘ Partikel, die obendrein noch die Aufnahme von verwertbarer Nahrung deutlich einschränken können“, so die Forscherin.

„Außerdem ist Mikroplastik nicht gleich Mikroplastik“, ergänzt Co-Autorin Joanna Waniek. „Um besser zu verstehen, wie schnell und wieviel Mikroplastik durch die Wassersäule in die Tiefe gelangt, muss man neben der Größe auch untersuchen, aus welchem Material die Partikel bestehen. Denn die enorme Bandbreite verschiedener chemischer und physikalischer Eigenschaften beeinflusst sowohl das Sinkverhalten als auch die Beständigkeit der Partikel. Dies wiederum ist entscheidend für ihre Verweildauer in der Wassersäule und somit auch ihre Verfügbarkeit für die betroffene Fauna“, erläutert die IOW-Wissenschaftlerin.

Sie betreut seit gut 20 Jahren federführend das mitten im Nordost-Atlantik auf halber Strecke zwischen den Azoren und der Insel Madeira verankerte Azoren-Observatorium „Kiel 276“. Neben zahlreichen Messinstrumenten an der insgesamt 5,2 km langen Verankerungsleine, die unterschiedlichste chemische und physikalische ozeanografische Parameter in verschiedenen Wassertiefen messen, sind dort auch Sinkstofffallen befestigt, die den Partikelniederschlag in verschiedenen Tiefen sammeln.

Die IOW-Forscherinnen Joanna Waniek (l.) und Janika Reineccius (r.) analysierten zur Mikroplastikverschmutzung im Nordost-Atlantik erstmals eine Langzeitprobenserie über 12 Jahre aus 2000 m Wassertiefe. K. Beck, IOW

In der jetzt vorliegenden Studie analysierten die beiden IOW-Forscherinnen nun erstmals eine Zeitreihe des Sinkstofffallenmaterials aus 2000 m Wassertiefe, welches zwischen 2003 und 2015 von „Kiel 276“ gesammelt wurde. In allen 110 untersuchten Proben wurde Mikroplastik nachgewiesen. Menge, Plastikarten und deren vertikale Transportraten variierten erheblich: Zwischen 1 und gut 3000 Plastikpartikel sinken pro Tag und pro m² in die Atlantische Tiefsee, was einer Masse von 0,0001 bis knapp 2 mg pro Tag und m² entspricht. „Hochgerechnet auf den gesamten Atlantik kommt dies einem Eintrag von etwa 5,4 Mio. Tonnen im Jahr gleich“, so Janika Reineccius. „Die maximale Mikroplastikmenge kann dabei bis zu 8% des gesamten absinkenden Materials ausmachen“, ergänzt Joanna Waniek.

Die beiden Wissenschaftlerinnen fanden vor allem sehr kleine Partikel, überwiegend kleiner als 0,1 mm. Mittels Raman-Spektroskopie wiesen sie folgende Plastikarten nach: Polyethylen, Polyvinylchlorid (PVC), Polypropylen, Polystyrol, Polyethylenterephthalat (PET), Plexiglas, Polyamid, Teflon und Mischpolymere aus Polyethylen und Polypropylen. Zwischen den Probenahme-Jahren änderte sich die Zusammensetzung der Polymere erheblich, immer dominierte jedoch Polyethylen (gut 70 % der Menge aus allen Proben) und PVC (gut 20 % der Gesamtmenge) war am zweithäufigsten vertreten; alle anderen Polymere traten nur in äußerst geringen Menge auf.

Die Menge der Polyethylen-Partikel korrelierte deutlich mit dem vermehrten Auftreten winziger Gesteinspartikel. Aufgrund ihres Gehalts an speziellen Seltenen Erden vermuten die Forscherinnen, dass die Partikel – Gesteinsstaub und Plastik – über atmosphärischen Transport aus Nordostafrika und den umliegenden Regionen eingetragen wurden. Für das zweithäufigste Polymer PVC konnte kein entsprechender Zusammenhang hergestellt werden. Dafür zeigte sich eine saisonale Abhängigkeit mit hohen Einträgen im Winter und deutlich geringeren Mengen im Sommer. Hierfür könnten, so die Autorinnen, verschiedene jahreszeitliche Faktoren wie die Schichtung der Wassersäule, Winde, Strömungen oder Niederschläge verantwortlich sein.

„Um weitere Muster und Prozesse klarer zu erkennen, muss die Langzeitbeprobung unbedingt fortgesetzt werden und eigentlich benötigen wir auch weitere Probennahme-Stationen“, resümieren Janika Reineccius und Joanna Waniek. „Unsere Analyse ist die erste Studie weltweit, die eine Zeitreihe der Mikroplastikbelastung der Meere zeigt und damit ein ganz wichtiger erster Schritt, um die Herkunft und die Transportwege unterschiedlichen Mikroplastiks in die Tiefen des offenen Ozeans zu verstehen.“