Senckenberg-Wissenschaftler haben mit einem internationalen Team neue Bewertungs- und Überwachungsindikatoren zum Schutz von Meeres- und Küstengebieten entwickelt. Sie zeigen in ihrer im Fachjournal „Scientific Data“ erschienenen Studie, dass es große Lücken beim Schutz der marinen Ökosysteme gibt. Laut dem Forscher-Team hätten beispielsweise Hochseegebiete ein hohes Erhaltungspotential für die Artenvielfalt – Schutzgebiete gebe es hier aber kaum. Die Daten sollen helfen, die – von der Vertragsstaatenkonferenz für biologische Vielfalt aktuell diskutierte – Ausweitung von Schutzgebieten auf 30 Prozent sinnvoll einzusetzen.
Meere und ihre Küsten erbringen zahlreiche Leistungen für den Menschen – sie dienen der Regulierung beim Küstenschutz und der CO2-Bindung, sie spenden Nahrung, sind Lebensraum und tragen zum menschlichen Wohlbefinden und zur Kultur bei. „Doch diese Ökosysteme sind ebenso einem globalen wie auch lokalen Druck ausgesetzt. Weltweit ist bereits ein Drittel bis die Hälfte der gefährdeten Küsten- und Meereslebensräume verloren gegangen – einhergehend mit einem Rückgang der natürlichen Leistungen für uns Menschen“, erklärt Dr. Aidin Niamir vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt und fährt fort: „Schutz- und Erhaltungsgebiete sind eines der gängigsten Instrumente, um diese Verluste zu verhindern.“
Doch wo richtet man diese Gebiete am zielführendsten ein, um die biologische Vielfalt zu schützen und im besten Fall sogar wieder zu erhöhen? Um den aktuellen Stand des Schutzes von Meeres- und Küstenlebensräumen zu ermitteln, hat das Wissenschaftler*innen-Team rund um die Senckenberg-Forscher*innen Niamir und Joy A. Kumagai untersucht, in welchen Meeresschutzgebieten die Ziele bislang erreicht werden konnten – und wo sie verfehlt wurden.
Dafür entwickelten sie zwei Indikatoren, die Auskunft darüber geben, wie viel Fläche der sechs wichtigsten Küsten- und Meereslebensräume – Seeberge, Seegrasflächen, Kaltwasserkorallenriffe, Warmwasserkorallenriffe, Mangrovenwälder und Salzwiesen – innerhalb der Schutz- und Erhaltungsgebiete liegen; bezogen auf einzelne Länder und auf die globale Ebene. „Derzeit verhandeln die Regierungen im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenz für biologische Vielfalt darüber, weltweit 30 Prozent von Land- und Meeresgebieten unter Schutz zu stellen. Wir möchten aufzeigen, welche Länder und Flächen das höchste Potential für den Schutz der biologischen Vielfalt haben – um die 30 Prozent auch an richtiger Stelle wählen zu können“, erläutert Kumagai den Ansatz.
Die Auswertung der Forscher ergab, dass Mangroven, Korallenriffe und Salzwiesen zu mehr als 40 Prozent ihrer kartierten Ausdehnung in geschützten Gebieten liegen. Dagegen liegen beispielsweise Seeberge häufig in Gebieten außerhalb nationaler Gerichtsbarkeit und sind bislang daher nicht geschützt. „Das stellt ein großes Problem dar, weil diese Gebiete gleichzeitig die größte Chance bieten, um Lebensräume zu erhalten, wenn ihr Schutz auf 30 Prozent erhöht würde“, so Niamir.
Auch auf Länderebene sei die Verteilung der Schutzgebiete sehr unterschiedlich: In 11,6 Prozent der Länder befindet sich keiner der in der Studie erfassten Meeres- und Küstenlebensräume in einem Schutz oder Erhaltungsgebiet.
„Zusammengenommen geben unsere Ergebnisse nicht nur den aktuellen Stand wieder, sondern machen auch auf die Notwendigkeit einer ökologischen Bewertung der derzeitigen Schutz- und Erhaltungsgebiete aufmerksam. Wir benötigen hier weitere, frei zugängliche globale Daten zu Lebensräumen, um die ‚richtigen‘ Meeres- und Küstengebiete schützen zu können“, schließt Kumagai.