Etwa 60.000 Frachtschiffe befördern 90 Prozent aller weltweit gehandelten Güter über die Weltmeere. Die Schifffahrt ist somit die wichtigste Art des Transports zur Versorgung der Weltbevölkerung. Eine Unterbrechung der Handelswege wie im Falle der „Ever Given“ im Suezkanal Anfang 2021 unterstreicht die Bedeutung des maritimen Transports. Obwohl der Seeverkehr pro Tonne Ladung und Strecke deutlich weniger CO2 als andere Transportmittel ausstößt, können Treibstoffeinsparungen hier aufgrund der riesigen Transportmengen die Emission von Treibhausgasen insgesamt deutlich verringern. Hier setzt das Projekt „Quantum Supported Maritime Just-In-Time Navigation“ (QSMN) an der Jade Hochschule an.
„Wo heute noch mehrere Schiffe zu einem Liegeplatz eilen, kann zukünftig ökonomischer gefahren werden, indem neben Wetter und Verbrauch auch die Ankunftszeiten der anderen Schiffe geschätzt werden“, sagt Prof. Dr. Christian Denker. Er hat an der Jade Hochschule eine Professur für Technische Navigation und Assistenzsysteme in der Schiffsführung inne und leitet dort das neue Projekt. Die Wissenschaftler entwickeln einen innovativen Ansatz zur maritimen Navigation mit dem Ziel, bei vorgegebener Fahrzeit den Treibstoffverbrauch für ein Schiff durch eine exakte Justierung des Geschwindigkeitsprofils zu minimieren.
Wetter, Meeresströmungen und Verkehr berücksichtigen
Zum Einsatz kommt die stochastische Bellman-Gleichung, mit deren Hilfe eine Lösung erzeugt wird, die den Just-In-Time-Gedanken umsetzt und dabei Wetter, Meeresströmungen und Verkehr berücksichtigt. Die Berücksichtigung der Meeresströmung sorgt dafür, dass Schiffe günstige Strömungen nutzen und ungünstige vermeiden. Die Kenntnis der Verkehrsverhältnisse erlaubt beispielsweise die periodische Justierung der Ankunftszeit durch permanente Beobachtung der Warteschlange. „Obwohl es am Markt bereits Angebote zur Routenoptimierung gibt, beansprucht dabei keines ein globales Optimum über die vollständige Route. Dies wollen wir im Projekt mithilfe der Bellmann-Gleichung ändern“, erläutert Dr. Wolfgang Mergenthaler, der Inhaber der Frankfurt Consulting Engineers (FCE), die das Projektkonsortium anführt.
Treibstoff- und Verspätungskosten für einzelne Schiffe minimieren
Die angedachte Lösung ist schnell umsetzbar. Sie soll als Service für Schiffe zur Marktreife gebracht und mit industriellen Partnern erprobt werden. Darüber hinaus stellt der klassische Ansatz eine Referenzlösung für die quantenorientierte Vorgehensweise bereit. Quantencomputer, die hier zum Einsatz kommen sollen, sind im Gegensatz zu klassischen Computern aufgrund ihrer Fähigkeit zum hochparallelen Rechnen grundsätzlich besonders für Aufgaben der Routenoptimierung geeignet, jedoch gegenwärtig in ihrer Rechenkapazität begrenzt. „Wir suchen zunächst Wege, das Optimierungsproblem auf gegenwärtigen Quantenrechnern zu lösen. Dazu sollen zunächst die Summe aus Treibstoff- und Verspätungskosten für ein einzelnes Schiff minimiert werden“, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Bernhard Schwarz-Röhr.
Häfen könnten Ankunftszeiten für Schiffe vorgeben
Mit der gegenwärtig schnell steigenden Leistungsfähigkeit der Quantenrechner sollen dann komplexere und mit einem klassischen Computer nur schwer zu lösende Aufgaben angegangen werden. So könnte zum Beispiel ein Hafen die geplanten Ankunftszeiten aller Schiffe so vorgeben, dass nicht nur die Infrastruktur des Hafens optimal genutzt, sondern auch der Treibstoffverbrauch über alle Schiffe minimiert wird. Die dazu notwendigen Grundlagen im Bereich des Quantencomputing entwickeln Wissenschaftler_innen der Goethe-Universität in diesem Projekt. Auch diese Quantenlösungen sollen zu einem am Markt erfolgreichen Produkt führen. Zur Umsetzung in die Praxis steuert die Firma Imrecke Consulting nautische Kompetenz und umfangreiches Wissen über die maritimen Wirtschaft bei.