Senckenberg-Wissenschaftler haben mit Kollegen der Technischen Universität München und der Universität Durham (UK) untersucht, wie sich die biologische Artengemeinschaften von Vögeln auf der ganzen Erde in Zukunft zusammensetzen könnten. Sie zeigen in ihrer im Fachjournal „Proceedings of the Royal Society B“ veröffentlichten Studie, dass sich die Vogelgemeinschaften – unter verschiedenen Klimawandel-Szenarien und der daraus resultierenden Verschiebung von Verbreitungsgebieten – bis 2080 weltweit über große Regionen stark verändern werden. Dies hat auch Auswirkungen auf Ökosystemleistungen, wie Samenausbreitung oder Bestäubung von Pflanzen.
Amsel, Kohl- und Blaumeise, Elster und Haussperling – diese häufigen Vögel sind in fast allen Grünflächen des Rhein-Main-Gebiets zu beobachten, aber es gibt auch seltenere Arten wie Storch, Blaukehlchen oder Steinkauz. Doch wie sieht das im Jahr 2080 aus? Wie wirkt sich der Klimawandel auf diese Artengemeinschaften aus? Welche Vogelarten werden wir in Zukunft in Hessen und dem Rest der Welt vorfinden?
„In unserer Studie haben wir die Auswirkungen der globalen Erwärmung an Land auf die regionale Verteilung von Vögeln der ganzen Erde untersucht. Dabei standen sowohl die Auswirkungen auf den Artenreichtum als auch auf verschiedene Aspekte der phylogenetischen Vielfalt im Fokus, insbesondere wie nah die Arten miteinander verwandt sind“, berichtet Erstautorin Dr. Alke Voskamp vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt (SBiK-F).
Weltweite Daten von insgesamt 8768 Arten haben die Forschenden ausgewertet, um auf regionaler Ebene zu untersuchen wie viele unterschiedliche Abstammungslinien in Artengemeinschaften verloren gehen oder hinzukommen, wenn Arten dem Klimawandel folgen und sich dadurch ihre Verbreitungsgebiete verschieben, vergrößern oder verkleinern.
„Es geht uns in der Studie nicht nur darum, wie viele Arten am Ende vorhanden sind, sondern auch wie divers die Vogelgemeinschaft ist. Zwei Sperlingsarten bilden beispielsweise eine gänzlich andere Gemeinschaft als ein Sperling und ein Steinkauz – die zweite Gemeinschaft ist phylogenetisch und ökologisch sehr viel diverser als die erste“, erklärt Prof. Dr. Susanne Fritz, ebenfalls SBiK-F sowie Goethe-Universität Frankfurt und ergänzt: „Die Vielfalt der Abstammungslinien, also die phylogenetische Struktur der Artengemeinschaft, steht sehr häufig in Beziehung zur Diversität der Eigenschaften von Arten und damit auch zu ihren Rollen und Funktionen in Ökosystemen. Eine Veränderung heißt demnach, dass sich die Ökosystemfunktionen, die Vögel erfüllen, in Zukunft ebenfalls ändern könnten – mit Konsequenzen für Nahrungsnetze ebenso wie für die Samenausbreitung und die Bestäubung von Pflanzen.“
Für die Projektionen der Verschiebungen von Artverbreitungsgebieten und damit der Vogelgemeinschaften auf das Jahr 2080 nutzte das Wissenschaftler*innen-Team zwei mögliche Klimaszenarien – mittlere und niedrige Emissionen von Treibhausgasen – und setzte diese mit den heutigen Klimabedingungen im Verbreitungsgebiet jeder untersuchten Art in Beziehung.
Voskamp fasst zusammen: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Klimawandel in beiden Szenarien nicht nur die Artenanzahl beeinflusst, sondern auch tiefgreifende Auswirkungen auf die phylogenetische Vielfalt und die Zusammensetzung der Artengemeinschaften haben wird. Auch wenn in unseren Projektionen die Artenverluste in tropischen und subtropischen Gebieten am häufigsten sind, werden phylogenetische Umstrukturierungen von Artengemeinschaften voraussichtlich überall auf der Welt auftreten. So zeigen unsere Modelle beispielsweise für große Teile Europas starke Umstrukturierungen der phylogenetischen Zusammensetzung bis 2080. Diese sind bedingt durch einige regionale Verluste von besonderen Abstammungslinien und weitreichende regionale Einwanderung von Arten, die mit den einheimischen Arten sehr nah verwandt sind und wahrscheinlich mit diesen um lokale Ressourcen wie Nahrung und Nistplätze konkurrieren. Die Erhaltung von lokaler phylogenetischer Vielfalt kann im Umkehrschluss daher ein Schlüssel für die Widerstandsfähigkeit der biologischen Vielfalt gegenüber Umweltveränderungen sein – unsere Daten unterstreichen, dass dies unbedingt bei zukünftigen Naturschutzmaßnahmen berücksichtigt werden sollte!“