Der Mensch selbst ist verantwortlich für das globale Vorkommen eines der größten Getreideschädlinge. Forschenden der Universität Zürich ist es gelungen, die Geschichte der Mehltau-Verbreitung entlang der Handelsrouten von Weizen nachzuvollziehen. Genetischen Vermischungen verwandter Mehltau-Arten spielten dabei eine zentrale Rolle.
Weizen gehört zu den weltweit wichtigsten Grundnahrungsmitteln. Die zentrale Rolle des Getreides für die globale Ernährungssicherheit wurde nicht zuletzt durch die kriegsbedingt ausfallenden Getreideexporte aus der Ukraine augenfällig. Ernten sind aber auch durch Schädlingsbefall bedroht, was wirtschaftliche Verluste und Hungersnöte zur Folge haben kann. Zu den gefürchtetsten Erregern gehört der Mehltau, ein Pilz, der den Ertrag drastisch reduziert.
Wettrüsten auf dem Acker
Um einem Befall vorzubeugen, wird heute massiv in die Zucht Mehltau-resistenter Getreidesorten investiert. Diese sollen dem Pilz keine Angriffsfläche bieten, denn der Erreger muss optimal mit seinem Wirt übereinstimmen, um das Getreide zu befallen. Doch der Mehltau überrascht stets aufs Neue mit seiner Fähigkeit, sich rasch an neue Wirte anzupassen. Für eine nachhaltige Bekämpfung des Schädlings ist es somit unabdingbar, den Krankheitserreger noch besser zu verstehen. Hier hilft der Blick in die Vergangenheit: Denn Mehltau ist so alt wie Weizen selbst. Doch wie er sich weltweit auf verschiedenen Getreidesorten ausbreiten konnte, war bisher unbekannt.
Der moderne Mehltau ist Kosmopolit
Den Forschenden um Thomas Wicker und Beat Keller vom Universitären Forschungsschwerpunkt (UFSP) «Evolution in Aktion» der Universität Zürich ist es gelungen, die Erfolgsgeschichte des Weizen-Mehltaus zu entschlüsseln. Hierfür haben sie die genetische Zusammensetzung von 172 Mehltau-Varianten aus 13 Ländern auf vier Kontinenten miteinander verglichen.
«Mit unseren Analysen können wir belegen, dass der Mehltau vor über 10’000 Jahren im Nahen Osten entstand, wo auch die Landwirtschaft und der moderne Weizen ihren Ursprung haben», erklärt Alexandros Sotiropoulos, Doktorand am Institut für Pflanzen- und Mikrobiologie. «In der Stein- und Bronzezeit breitete sich die Landwirtschaft nach Europa und Asien aus. Durch Migration und Handel erreichte der Erreger neue Gebiete. Vor etwa 300 Jahren schleppten europäische Siedler mit dem Weizen auch den Mehltau nach Nord- und Südamerika ein.»
Anpassung durch rasche Evolution
Was die Forschenden bereits früher vermuteten, konnte nun mit den Daten untermauert werden: In der Geschichte des Mehltaus kam es entlang der Verbringungsrouten des Weizens häufig zu Hybridisierungen, also genetischen Vermischungen verwandter Mehltau-Arten.
«Diese scheinen für die rasante Evolution der Pathogenität des Mehltaus verantwortlich zu sein», erläutert Kentaro Shimizu, Co-Direktor des UFSP. «Besonders deutlich wird das am Beispiel der vielen amerikanischen Weizensorten, die in den letzten 120 Jahren für die Kreuzung mit traditionellen ostasiatischen Weizens nach Japan gebracht wurden. Der ebenfalls importierte amerikanische Mehltau hybridisierte mit der ortsansässigen Variante, und die entstandenen Mischlinge konnten neu gezüchtete Weizensorten erfolgreich befallen.»
Um die Verbreitung des Mehltaus zu erforschen, bedienten sich die Forschenden theoretischer Analysen, die ursprünglich geschaffen wurden, um die Entwicklungsgeschichte der Menschheit zu untersuchen. «Unsere Studie zeigt einmal mehr, dass die Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftsdisziplinen und der Einsatz unkonventioneller Methoden bei der Erforschung solch komplexer Themen großes Potential hat», erklärt Kentaro Shimizu.