Melkamu Taye hat sein Financial Management Studium an der Hochschule Coburg abgeschlossen und beschäftigt sich nun in seiner Doktorarbeit mit einer bedeutsamen Frage: Wie können effiziente Agrarmärkte in armen Ländern entwickelt werden?
Alle Ökonomie hat ihren Ursprung in der Landwirtschaft. „Erst wurden landwirtschaftliche Produkte hergestellt“, sagt Melkamu Taye. „Dann war die Frage, wie sie verteilt und verkauft werden können. So begann der Aufbau von Märkten und zum Beispiel der Bau der Eisenbahn in Amerika.“ Länder, die früh mit dem Handel anfingen, entwickelten sich schnell. Heute sind sie – auch im Agrarsektor – hochtechnologisiert. „Wie sind einige Länder reich geworden? Warum wurden andere Länder arm?“ Das sind Fragen, deren wissenschaftliche Perspektive Taye umtreibt. Vor allem aber diese: Wie kann wieder ein Gleichgewicht entstehen?
Taye hat an der Hochschule Coburg im internationalen Masterstudiengang Financial Management abgeschlossen und promoviert hier über die Entwicklung landwirtschaftlicher Rohstoffmärkte in armen Ländern. „Ich untersuche damit einen der wichtigsten Märkte der Welt. Die große Herausforderung ist, in Afrika ein Produktionsniveau zu erreichen, durch das Hunger und Armut vermieden wird. Dann“, Taye überlegt kurz, zuckt die Schultern: „Es ist eigentlich ganz einfach: Wenn die Menschen nicht mehr hungern, können sie sich Schritt für Schritt um andere Probleme kümmern.“ Weizen, Mais, Reis, Soja und Zucker, Palmöl, Milchprodukte: Würde das in Afrika in etwa in der gleichen Menge produziert, wie es benötigt wird, dann wäre das ideal für eine nachhaltige Entwicklung. Es würde Ressourcen und Energie schonen, hätte positiven Einfluss auf die Klimakrise und auf die politische Stabilität auf dem Kontinent. Es würden sich nicht so viele Menschen gezwungen sehen, aus großer Not heraus den gefährlichen Weg der Flucht zu wählen. Das Problem ist: Die kleinen Farmen Afrikas stehen im Agrarmarkt Weltkonzernen gegenüber.
Fünf Agrarkonzerne beherrschen den Welthandel mit landwirtschaftlichen Produkten, die meist als Nahrungsmittel, nachwachsende Rohstoffe oder Futtermittel verkauft werden, aber beispielsweise auch so etwas wie Baumwolle umfassen: Archer Daniels Midland, Bunge und Cargill sitzen in den USA, Louis Dreyfus in den Niederlanden, Cofco in China. Sie haben enorme Verhandlungsmacht. Und ihre Finanzexperten analysieren in allen Anbaugebieten der Welt Wetterdaten und Ernteprognosen, Preis- und Wechselkursschwankungen und politische Veränderungen.
Terminmärkte in Afrika
Weil sie über aktuelle Marktkenntnisse verfügen, profitieren die Großkonzerne von den extremen Preisschwankungen auf den weltweiten Agrarmärkten. Getreide zum Beispiel wird zu niedrigen Preisen gekauft, in Silos gebunkert und verkauft, wenn der Preis hoch ist. „Information ist extrem wichtig, wenn man in Rohstoffmärkten spekuliert.“ Taye öffnet seinen Laptop. Er sitzt im International Common Room der Hochschule, den die internationalen Masterstudiengänge AIMS und Financial Management gemeinsam nutzen. Hier ist das Bloomberg Lab untergebracht: Studierende können damit praktische Erfahrungen in der Welt der Finanzen und Märkte sammeln; auch Doktorand Taye arbeitet oft hier.
Er verbindet seinen Computer mit einem der großen Monitore an der Wand und öffnet die Charts des Wirtschaftsdienstes Bloomberg: Dieser bietet unter anderem Realtimekurse, Fundamentaldaten, finanzmathematische Analysetools und Statistiken für Rohstoff- und Devisenmärkte. „Das Wissen, wie Angebot und Nachfrage in der Zukunft aussehen, würde auch den Farmern vor Ort ermöglichen, rationale Entscheidungen darüber zu treffen, was und wieviel sie produzieren und zu welchem Preis sie es dann verkaufen.“ So genannte Terminmärkte ermöglichen, heute Verträge zu schließen, die später erfüllt werden.
Der Preis wird vereinbart, bevor die Landwirte produzieren. Taye spricht davon, solche Terminmärkte in Afrika zu entwickeln – regionaler Handel ist entscheidend für wirtschaftliche Entwicklung. „Wenn es im Land einen zentralen Markt gibt, können Bauern ihre Produkte sammeln und dort verkaufen.“ Zwischen 70 und 80 Prozent der Nahrung weltweit wird von Kleinbäuerinnen und -bauern produziert. Aber der Markt wird von anderen kontrolliert. „Das ist der Grund, warum einige Länder entwickelt sind und andere nicht.“
Von Addis Abeba nach Coburg
Melkamu Taye wurde 1990 in Äthiopien geboren. Seine Mutter gab ihm einen Namen, der in der Landessprache Amharish „sehr gute Wünsche“ bedeutet. „Wenn du auf Amharish ,happy birthday‘ oder merry christmas“ sagst, fängt das mit dem Wort ,Melkamu‘ an.“ Der Finanzmanager lächelt. Für ihn sind die guten Wünsche in Erfüllung gegangen. Aber einen einfachen Start hatte er nicht. Seine Eltern starben, als er klein war. Melkamu wuchs in einem SOS-Kinderdorf auf. Er ging in Ghana auf eine englischsprachige Schule, machte Abi, bekam ein Stipendium und studierte zunächst in Bremen im Bachelor Biotechnologie. „Für meinen Master war Financial Management in Coburg perfekt“, erklärt er.
„Ich finde ideal, das Wissen aus beiden Bereichen zu kombinieren: Wirtschaft und Ingenieurwissenschaften.“ Sein Leben hätte ganz anders laufen können. Er ist sehr dankbar, dass er studieren konnte. „Das Wissen und die Erfahrung, die ich im Financial Management-Programm an der Hochschule Coburg gesammelt habe, ist die Basis meiner Forschung. Jetzt bin ich in der Lage, auch anderen zu helfen.“
Es geht darum, in Afrika eine nachhaltige Entwicklung der Rohstoffmärkte zu erreichen, die insbesondere auf Selbstversorgung abzielt. Zumindest einigermaßen soll ein Gleichgewicht mit den Industrieländern erreicht werden. Taye verbindet in seiner Doktorarbeit ökonomische Theorie, mathematische Methoden und statistische Methoden und untersucht, inwiefern Terminmärkte für landwirtschaftliche Rohstoffe dazu beitragen, dass sich die Märkte natürlich entwickeln können, dass Informationen verbreitet und ein gewisses Maß an Effizienz erreicht werden kann. „Ich versuche, ein Rahmenwerk mit den verschiedenen Faktoren und Variablen zu erstellen und dann diese in den Entwicklungsländern anzuwenden, um zu verstehen, ob es funktioniert oder nicht.“
Tayes kooperative Promotion ist an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angesiedelt und wird dort von Prof. Dr. Jürgen Kähler betreut, an der Hochschule Coburg wird sie von Prof. Dr. Victor Randall betreut. Randall forscht und lehrt im Bereich Finance an der Hochschule Coburg, er leitet den internationalen Masterstudiengang Financial Management und ist überzeugt: „In einem sich verändernden Umfeld der globalen Agrarrohstoffmärkte dürfte die Entwicklung von weiteren Terminmärkten in Afrika und allgemein in Schwellenländern eine zunehmend wichtige Rolle spielen.“ Doktorand Taye erklärt, dass Financial Management ein sehr großes Spektrum umfasst. Es lässt sich ganz klassisch nutzen, um den Gewinn eines Unternehmens zu steigern. „Aber genauso, um den Gewinn kleiner landwirtschaftlicher Betriebe in Entwicklungsländern zu erhöhen.“