Sie haben in den letzten 250 Millionen Jahren seit ihrer Entstehung einige dramatische Veränderungen überlebt, aber mittlerweile sind sie die am stärksten bedrohte Tiergruppe der Welt – die Störe. Bis vor kurzem gab es noch 27 Arten, nun nur noch 26: Der Chinesische Löffelstör gilt seit der letzten Bewertung der Internationalen Naturschutzunion (IUCN) vom Juli dieses Jahres als ausgestorben. Für die verbleibenden Störarten hat sich die Situation seit der Bewertung von 2010 deutlich verschlechtert. Dr. Jörn Gessner vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) war federführend in die Erstellung der IUCN Roten Liste eingebunden.
Die Internationale Naturschutzunion, kurz IUCN, ist die globale Instanz für die Bewertung des Zustands der Natur und die zu ihrem Schutz erforderlichen Maßnahmen. Sie hat mehr als 1 400 Mitgliedsorganisationen und wird von rund 15 000 Experten unterstützt.
Die IUCN hat am 21. Juli 2022 die aktualisierte Fassung der Roten Liste veröffentlicht, auch die Bewertung zum Status der Gruppe der Löffelstöre und Störe (Acipenseriformes), die von Vertretern der Sturgeon Specialist Group unter der Federführung von IGB-Forscher Dr. Jörn Gessner und Dr. Arne Ludwig vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) erarbeitet wurde. „Seit der letzten Bewertung in 2010 hat sich die Situation allgemein verschlechtert. Eine Art, der Chinesische Löffelstör (Psephurus gladius) ist bereits als ausgestorben zu betrachten. Eine weitere Art kommt nur noch aufgrund von Besatzmaßnahmen vor, sie gilt als ,in freier Wildbahn ausgestorben‘. Für acht Arten ist der Zustand kritischer als bei der Bewertung von 2010. Der Zustand von 17 Arten blieb unverändert kritisch, und der Zustand einer Art, die immer noch als kritisch eingestuft wird, hat sich verbessert“, resümiert IGB-Forscher Jörn Gessner das Ergebnis.
In Europa und Asien ist der Rückgang am dramatischsten:
Der Jangtse-Stör oder Dabry-Stör (Acipenser dabryanus) der im Jangtse-Fluss in China beheimatet ist, wurde von „vom Aussterben bedroht“ auf „in freier Wildbahn ausgestorben“ hochgestuft, da die Tiere zwar noch in ihrem ursprünglichen Lebensraum vorkommen, aber nur noch aus Besatzprogrammen stammen und in den letzten 20 Jahren keine natürliche Vermehrung mehr beobachtet wurde. Nur 22 verbleibende Individuen (11 Männchen und 11 Weibchen) des Chinesischen Störs (Acipenser sinensis) waren an dem letzten nachgewiesenen natürlichen Laichvorgang im Jahr 2015 beteiligt, wie eine genetische Untersuchung ergab.
Auch in Europa ist die Situation dramatisch: Alle acht vorkommenden Arten sind als „gefährdet“ oder „vom Aussterben bedroht“ eingestuft. Der Glattdick (Acipenser nudiventris) war früher im Schwarzmeer Einzugsgebiet weit verbreitet. Heute kommt die Art nur noch in einer kleinen Restpopulation in Georgien vor und wurde in der Donau für ausgestorben erklärt.
Einige Störarten halten sich nur dank frühzeitiger Schutzprogramme:
Aber es gibt auch kleine Zeichen der Hoffnung. Die Funde junger Adriatischer Störe (Acipenser naccarii) in einem norditalienischen Fluss deutet darauf hin, dass sich nach über 30 Jahren der Hilfsmaßnahmen mittlerweile Tiere natürlich fortpflanzen. Daher wurde diese Art von „in freier Wildbahn ausgestorben“ auf „vom Aussterben bedroht“ zurückgestuft. Auch die jüngste Wiederentdeckung von Jungtieren des Glattdicks (Acipenser nudiventris) im Rioni-Fluss in Georgien, der zuvor im Schwarzmeerbecken als ausgestorben galt, könnte die Rettung des Schwarzmeer-Genotyps dieser Art ermöglichen, wenn rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden.
Rückschläge für die Wiederansiedlung in der Elbe:
Die in Deutschland früher heimischen Europäischen Störe (Acipenser sturio) und Baltischen Störe (Acipenser oxyrinchus) breiten sich zwar in ihren Einzugsgebieten wieder aus, hier fehlen aber noch Nachweise der Eigenreproduktion, damit sich ihr Status nach den IUCN-Kriterien verbessern kann. Aktuell stammen alle Tiere in Elbe und Oder aus Besatzmaßnahmen. Das sollte sich aber schon in den kommenden Jahren ändern, wenn, wie in der Elbe schon geschehen, die ersten geschlechtsreifen Rückkehrer aufkommen und sich ohne menschliche Hilfe vermehren.
Aber auch dann wird es noch Jahrzehnte dauern, bis die Bestände ausreichend robust sind. Hilfsmaßnahmen wie Besatz, aber auch Verbesserungen der Lebensräume werden weiterhin unabdingbar sein.
Denn noch immer sind die Lebensraumbedingungen schwierig für das Überleben der Fische. So sind in diesem Sommer einige Exemplare des Europäischen Störs in der Elbe wegen Sauerstoffmangel verendet. Für Jörn Gessner ein schwerer Schlag: „Das waren die ersten Rückkehrer aus unserem Wiederansiedlungsprojekt, über 1,5 Meter groß und über 10 Jahre alt, die hätten die erste Generation von Wildfischen seit 1964 hervorbringen sollen“.
Im Allgemeinen befinden sich die Arten in Nordamerika in einer weniger dramatischen Lage. Hier wurden Schutzprogramme und andere Bewirtschaftungsmaßnahmen eingeleitet, bevor viele der natürlichen Populationen vom Aussterben bedroht waren. Aber selbst in diesen Fällen verschlechterte sich der Zustand der Bestände im Vergleich zur Bewertung von 2010 aufgrund von Änderungen der Kriterien, die die IUCN für die Bewertung ansetzt.
Kaviargewinnung ist aktuell nicht das Hauptproblem:
„Die Ursachen für den Rückgang der Störe und Löffelstöre sind allesamt dem Menschen zuzuschreiben, wobei die Hauptursachen die Überfischung, die Fragmentierung der Flüsse und die Verschmutzung sind. Die Überfischung war früher hauptsächlich auf die Jagd nach Kaviar zurückzuführen und ist heute nicht mehr der Hauptfaktor“, erklärt Jörn Gessner.
Kaviar, einst das Nahrungsmittel der Armen und ohne Wert, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in Westeuropa zum Luxusgut. Heute ist die Störfischerei praktisch überall verboten, und die etwa 500 Tonnen Kaviar, die jedes Jahr weltweit legal produziert werden, stammen von Zuchttieren. Die legale Fischerei ist daher keine Bedrohung mehr, und die verbleibende Wilderei beschränkt sich auf einige wenige Gebiete, wo sie den oft nur noch kleinen Restpopulationen aber noch schweren Schaden zufügt.
Wanderrouten der Störe sind unterbrochen:
Heutzutage ist die Fragmentierung ihrer Lebensräume und insbesondere der Flüsse, in denen sie sich vermehren sollen, die Hauptursache für den Rückgang der Störe und Löffelstöre. Die meisten Störarten sind anadrom, das heißt sie leben als erwachsene Tiere in den Küstengebieten und im Meer und wandern zum Laichen in ihre Heimatflüsse. Die Dämme, die seit den 1950er Jahren in großer Zahl gebaut werden, verhindern ihre Wanderungen zu den angestammten Laichplätzen und verändern die Ökologie der Flüsse tiefgreifend, wodurch die Fortpflanzung dieser Arten stark eingeschränkt wird.
„Es ist zum Beispiel kein Wunder, dass der chinesische Löffelstör ausgestorben ist, denn sein Lebensraum war der Jangtse. Der Lauf des Jangtse wurde erst den Gezhouba-Damm, der 1981 gebaut wurde, und anschließend durch den gigantischen Drei-Schluchten-Damm, der 2006 fertiggestellt wurde, völlig verändert. Heute sind weitere Dämme im Mittel und Oberlauf des Flusses hinzugekommen. Diese Dämme unterbrechen die Wanderroute zu den Laichplätzen dieser ikonischen Art und die Stauhaltungen vernichten ihre Futterplätze“, sagt Jörn Gessner.
Auch die Wasserverschmutzung hat sich negativ auf Störe und Löffelstöre ausgewirkt, ebenso wie die Einführung gebietsfremder Arten, die in einigen Fällen mit den Stören und Löffelstören konkurrieren oder sie verdrängen, wie im Fall des Europäischen Welses (Silurus glanis) in Italien und Frankreich.