Wissenschaftler aus der Ukraine an der Uni Hohenheim

Ukrainische Flagge Pixabay/jorono 1037 Bilder

Der Krieg in der Ukraine ist nah und fühlt sich doch oft weit weg an. Das ändert sich, wenn man mit Menschen spricht, die vor dem russischen Angriff geflüchtet sind. Die ukrainische Neurologin Dr. Maryna Horobeiko arbeitet seit Juni als Gastwissenschaftlerin am Institut für Health Care & Public Management an der Uni Hohenheim. Im Gespräch mit dem Online-Kurier berichtet sie von ihren Erfahrungen und warum ihr die Arbeit an der Uni Hohenheim so viel bedeutet.

Wie geht es Ihnen? Wie sind Sie an die Uni Hohenheim gekommen? Harmlose Interview-Fragen gibt es nicht, wenn die eigene Existenz innerhalb wenigen Wochen komplett aus den Fugen geraten ist.  Dr. Maryna Horobeiko hat ihr lebensfrohes, anpackendes Temperament nicht verloren. Doch wenn man sich mit ihr über die letzten Monate unterhält, löst das unweigerlich eine Kette schrecklicher Erinnerungen aus. Und für einige kurze Momente auch Tränen.  Sprechen möchte sie trotzdem über Ihre Erfahrungen. Aus tiefempfundener Dankbarkeit über die herzliche Aufnahme am Institut für Health Care & Public Management an der Uni Hohenheim – und als Bitte um weitere Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung.

Die Neurologin setzt mit ihrer Schilderung im Dezember 2021 ein:

„Meinen Mann plagten damals schon düstere Vorahnungen. Er bat mich, das Land gemeinsam mit unserer 15-jährigen Tochter zu verlassen. Alle erklärten ihn für verrückt, ich auch. Wir waren doch gerade so glücklich. Im Januar habe ich eine neue Stelle als medizinische Direktorin in einem privaten medizinischen Zentrum angetreten. Meine Tochter besuchte eine der besten Schulen der Stadt, mit internationaler Ausrichtung. Doch im Februar sind die Albträume meines Mannes plötzlich Realität geworden.“

Die ukrainische Neurologin Dr. Maryna Horobeiko arbeitet nach ihrer Flucht im Team von Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza vom Fachgebiet Haushalts- und Konsumökonomik. Bild: Uni Hohenheim

Am Tag des russischen Angriffs ist eine Flucht aus Kyiv (Kiew) kaum mehr möglich. Zu viele Autos wollen raus aus der 5-Millionenstadt. Dr. Horobeikos Mann ist gerade auf Dienstreise in einem entfernten Teil der Ukraine. Er drängt sie, die Strapazen auf sich zu nehmen und das Land zu verlassen, doch sie entscheidet sich, ins Landhaus der Familie zu fahren. Schnell aber ist klar: Auch der Vorort bietet keine Sicherheit.

„Während wir auf dem Land waren, kam der Krieg immer näher. Das Haus bebte unter dem Beschuss. Raketen, Artillerie, Panzer, gepanzerte Fahrzeuge – all das haben wir gehört und gesehen. Die Haare meiner Tochter wurden grau. Menschen aus den besetzten Gebieten begannen von Misshandlungen und Vergewaltigungen zu berichten, darunter auch Kinder und Jugendliche. Ich hatte keine andere Wahl. Ich musste mein Kind aus dieser Hölle herausholen“, sagt Dr. Horobeiko. Nächste Station: Polen. 14 Stunden Stehen im überfüllten Zug. Dreimal muss der Zug wegen Luftalarm anhalten. Kein Licht, keine Möglichkeit zu telefonieren. Von Polen aus folgt Dr. Horobeiko der Einladung einer ukrainischen Freundin, die bereits länger in Filderstadt lebt. Heute ist der Vorort, in dem sich ihr Landhaus befindet, verwüstet.

Arbeit als Neurologin vorerst nicht möglich

„Unser Leben hat von einem Tag auf den anderen eine schreckliche Wendung genommen und trotzdem bin ich sehr dankbar: Wir hatten eine Anlaufstelle in Deutschland. Meine Tochter konnte an der Schule schnell Anschluss finden, da sie gut Englisch und Deutsch spricht. Und mein Mann durfte uns nach Deutschland folgen, da er aufgrund seines Alters vom Militärdienst befreit ist. Nicht viele Landsleute haben so viel Glück“, weiß Dr. Horobeiko. Im Alltag in Deutschland macht ihr vor allem eine Sache zu schaffen: Untätigkeit. „Dann fange ich an nachzudenken. Und das führt zur Depression. Außerdem will ich einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten und etwas zurückgeben für die Hilfe, die wir empfangen“, so Dr. Horobeiko.

Ihre Arbeit als Neurologin kann die Ukrainerin jedoch nicht ohne Weiteres fortsetzen, da ihre medizinische Ausbildung in Deutschland nicht anerkannt ist. Obwohl Fachkräfte im Gesundheitswesen händeringend gesucht werden, ist das Anerkennungsverfahren für Bürgern von Nicht-EU-Staaten extrem langwierig.

Rückkehr zur Forschung

Ob sie lange genug in Deutschland bleiben wird, um ihre Zulassung als Ärztin zu erlangen, kann Dr. Horobeiko im Moment nicht einschätzen. Umso glücklicher ist sie deshalb, dass sie als Gastwissenschaftlerin an der Uni Hohenheim zwischenzeitlich an ein anderes Beschäftigungsfeld anknüpfen kann. Neben ihrer medizinischen Ausbildung hat Dr. Horobeiko Wirtschaftswissenschaften studiert und als Postdoc im Bereich Gesundheitsmanagement geforscht. Berufliche Erfahrungen sammelte sie u.a. bei der WHO und im ukrainischen Gesundheitsministerium.

Als Glückfall erwies sich ihre Bewerbung daher umgekehrt auch für das Institut für Health Care & Public Management: „Unmittelbar nach Kriegsbeginn haben meine Institutskollegen und ich beschlossen, dass wir geflüchteten Akademikern helfen wollen. Wir haben uns dazu aktiv auf mehreren Online-Portalen registriert. Eigentlich stand für uns der Hilfsgedanke im Vordergrund. Mit Dr. Horobeiko konnten wir nun aber sogar eine Wissenschaftlerin aufnehmen, die sehr gut zu unserem fachlichen Profil passt“, freut sich Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza vom Fachgebiet Haushalts- und Konsumökonomik. Am Institut knüpft Dr. Horobeiko an ein Forschungsthema an, das sie bereits als Postdoc beschäftigt hat und das sie inzwischen nun auch ganz persönlich betrifft: Die Migration ukrainischer Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen.

Offene Zukunft

„Wir planen, Dr. Horobeiko im nächsten Semester in einem Seminar einzubinden. Und wir hoffen auf eine Möglichkeit, sie auch längerfristig beschäftigen zu können“, so Prof. Dr. Sousa-Poza. „Allerdings gibt es dafür bislang leider keine Finanzierung. Stipendien für Geflüchtete sind zumeist für kürzere Zeiträume ausgerichtet. Sinnvoll wären ergänzende Programme, die es ukrainischen Wissenschaftlern ermöglichen, Fuß zu fassen und eigene Forschungsanträge auf den Weg zu bringen.“

Anderen Instituten an der Uni Hohenheim legt er nahe, den Schritt zu wagen und ebenfalls geflüchtete Wissenschaftlern zu integrieren, sofern sich die Möglichkeit dazu ergibt: „Das Schicksal von Dr. Horobeiko bewegt uns sehr. Wir schätzen sie als Mitglied unseres Teams und hoffen, dass möglichst viele Geflüchtete in ihrer Situation eine ähnliche Chance erhalten“, so Prof. Dr. Sousa-Poza.

Tatsächlich haben bisher nur eine Handvoll ukrainische Geflüchtete ihr Studium oder ihre Forschungen an der Uni Hohenheim aufgenommen bzw. fortgesetzt. Die erste Anlaufstelle für sie ist das Akademische Auslandsamt. Auch Universitätsangehörige, die Fragen zur Aufnahme von Geflüchteten in Hohenheim haben, können sich an das Auslandsamt wenden. Eine Info-Seite bietet einen Überblick über notwendige Schritte, Finanzierungsmöglichkeiten und weitere Anlaufstellen.