Wasserstoff soll möglichst bald fossiles Erdgas im europäischen Gasnetz ersetzen. Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) entwickelt für ein EU-weites Projekt hochpräzise Kalibriergase. Sie sind die Grundlage, um später Verbrauchsmengen und Kosten exakt berechnen und die Umstellung beschleunigen zu können. Um bis 2050 das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, hat die Europäische Union beschlossen, ihr Gasnetz zu dekarbonisieren: Wasserstoff soll zukünftig den fossilen Energieträger Erdgas möglichst ganz ersetzen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Versorgungskrise erhält dieses Ziel eine besondere Dringlichkeit.
Es geht dabei um eine monumentale Aufgabe: Das Gasnetz erstreckt sich in der Europäischen Union über fast eine Viertelmillion Kilometer, davon liegen ca. 38.000 Kilometer in Deutschland. Bevor dieses Netz in den kommenden Jahren schrittweise auf Wasserstoff umgestellt werden kann, müssen eine Reihe von technischen Herausforderungen bewältigt werden: So ist es derzeit noch nicht möglich, den Durchfluss von Wasserstoff-Erdgasmischungen oder auch von reinem Wasserstoff mit der erforderlichen Exaktheit zu messen und so den Verbrauch zu bestimmen.
„Die Gasindustrie verwendet bislang mathematische Modelle, die jedoch nicht ausreichend validiert sind“, erklärt Dirk Tuma von der BAM. „Hochpräzise Messungen der Mischungen und der Durchflussmengen sind unverzichtbar, um den Verbrauch exakt abrechnen zu können. Das ist sowohl für die Industrie wie auch für private Endverbraucher*innen von großer Bedeutung. Angesichts der enormen Mengen, um die es geht, bedeuten bereits Unsicherheiten im Promillebereich große Kostenunterschiede.“
Der Chemiker ist Teil eines großen internationalen Forschungsprojekts, das diese messtechnischen Fragen lösen will. Initiiert hat es EURAMET, die Europäische Vereinigung von 37 nationalen Metrologieinstituten. Ziel ist es, die Gasindustrie bei der Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff optimal zu unterstützen und so den Markthochlauf von Wasserstoff zu beschleunigen.
Die BAM wird für das Projekt in ihrem Wasserstoff-Kompetenzzentrum H2Safety@BAM hochpräzise Kalibriergase entwickeln: Mischungen von Erdgaskomponenten und Wasserstoff, die in ihrer Zusammensetzung bis auf 0,01 Prozent exakt sind. „Die besondere Herausforderung besteht darin, aus den Ausgangskomponenten Mischungen herzustellen, die über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren nachweislich stabil sind“, erklärt Dirk Tuma.
Die hochgenauen Referenzgase der BAM sind die Grundlage, um alle weiteren metrologischen Fragen zu klären. Mit ihnen lassen sich Messgeräte kalibrieren und weiterentwickeln, um später in der Praxis Durchflussmengen exakt zu berechnen. Sie sind eine Voraussetzung dafür, um eine Messinfrastruktur in Europa aufzubauen und das vorhandene Gasnetz auf Wasserstoff umzustellen.