Ressourcen werden knapper, Energiepreise steigen. Zusätzlich hat die Abhängigkeit von Drittstaaten zu einem weltweiten Umdenken geführt, wenn es um die Förderung von Rohstoffen geht. Es gilt, neue Wege zu finden, um Wertstoffe ökologisch und wirtschaftlich zu gewinnen. Dass diese Wege auch ungewöhnlichen Ideen folgen, zeigt ein neues Projekt, das jetzt am Forschungszentrum Nachbergbau der Technischen Hochschule Georg Agricola (THGA) gestartet ist: In den kommenden zwei Jahren untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Projekt „IAW3³“, ob sich aus Grubenwässern noch strategische Rohstoffe gewinnen lassen und welche Methoden sich dazu am besten eignen.
Mithilfe neuer Aufbereitungstechnologien sollen vor allem kritische Metalle extrahiert werden. Dabei betrachten die Expertinnen und Experten nicht nur die Grubenwässer selbst, sondern begutachten auch deren Fällungsprodukte und Aufbereitungsrückstände. Ihre Untersuchungen führen sie an verschiedenen Bergwerken an Ruhr, Saar und in Ibbenbüren durch.
Das Forschungsvorhaben wird zunächst bis 2024 von der RAG-Stiftung gefördert. Der vollständige Projekttitel lautet: Innovative Aufbereitungstechnologien und ihr Potential zur Wertstoffgewinnung aus Grubenwässern, Fällungsprodukten und Aufbereitungsrückständen an Ruhr, Saar und Ibbenbüren mit besonderer Berücksichtigung kritischer Metallressourcen, kurz: IAW3³.
„Nachbergbau bedeutet für uns nicht nur die Bewältigung von Herausforderungen, die uns der Steinkohlenbergbau hinterlassen hat. Im Bereich des Nachbergbaus gilt es auch, neue Möglichkeiten und Chancen in den ehemaligen Steinkohlerevieren zu entwickeln“, sagt Bärbel Bergerhoff-Wodopia, Vorstandsmitglied der RAG-Stiftung. „Das neue Forschungsprojekt rund um die Gewinnung strategischer Rohstoffe aus Grubenwasser ist ein hochspannendes und auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Zukunftsfeld. Es kann dazu beitragen, Abhängigkeiten in der Rohstoffgewinnung zu verringern. Wie wichtig Unabhängigkeit auf diesem Gebiet sein kann, wird uns dieser Tage besonders vor Augen geführt. Deshalb fördern wir als RAG-Stiftung dieses besondere Projekt sehr gerne.“
„Wir sehen Grubenwasser als möglichen Wertstoffstrom“, sagt Prof. Dr. Christian Melchers, der das Projekt am Forschungszentrum Nachbergbau (FZN) leitet. „Das Innovative an unserer Idee ist, dass wir nicht nur das Grubenwasser selbst betrachten, sondern auch die Rückstände aus der Aufbereitung und seine Fällungsprodukte untersuchen. Mit Fällung wird dabei das Abscheiden eines gelösten Stoffes aus einer Lösung bezeichnet.“
Was für den Laien Schlamm und Schlick sind, ist für die Expertinnen und Experten vom FZN also eine wahre Fundgrube: „Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass dort z. B. Magnesium enthalten ist, das im Motorenbau verwendet wird. Hier ist es in der Vergangenheit bereits zu Lieferengpässen beim chinesischen Marktführer gekommen. Diesen Abhängigkeiten wollen wir bestenfalls entgegenwirken“, erklärt Projektmitarbeiter Dr. Bastian Reker. Weiter finden sich Seltene Erden, die den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben können, oder Lithium, das für die E-Mobilität entscheidend ist.
Außerdem prüfen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, in welchen Mengen das kritische Element Germanium im Grubenwasser vorkommt. „Das ist ein Nebenprodukt, das sonst nur bei der Zinkgewinnung entsteht und essentiell für die Beschichtung von Glasfaserkabeln und damit für den Netzausbau ist“, so Dr. Reker. „Aktuell werden all diese Rohstoffe weltweit unter teils zweifelhaften Umweltstandards gefördert, von denen Mensch und Umwelt gleichermaßen betroffen sind“, ergänzt Prof. Melchers. „Das passt einfach nicht mehr zum Zeitgeist und dem gewachsenen ökologischen Bewusstsein in unserer Gesellschaft. Wir wollen daher ein Umdenken initiieren, die Prozesse wissenschaftlich begleiten und so vor unserer eigenen Haustür nach neuen Möglichkeiten suchen.“
Die Grubenwässer, die in den ehemaligen Steinkohlerevieren an der Ruhr, der Saar und in Ibbenbüren mit Pumpen aus großen Tiefen gehoben werden, zeigen eine hohe Bandbreite an unterschiedlichen Mineralisationen und Anreicherungen – abhängig von der regionalen Geologie, der Hydrogeologie und weiteren Einflussfaktoren, die der Bergbau hinterlassen hat, erklärt Experte Melchers: „Wir prüfen nun, inwieweit es sich auch wirtschaftlich lohnt, diese Wertstoffe aufzufangen und aufzubereiten.“
Dazu errichten die Wissenschaftler in den kommenden Monaten eigene Fällungsreaktoren an geeigneten Standorten. Darin werden Eisen und andere Metalle gezielt abgeschieden, indem Sauerstoff zugeführt wird. Die Erkenntnisse, die sie bei der Konzeption der Anlagen im Labormaßstab gewinnen, wollen sie auf Versuchsanlagen im großen Maßstab übertragen. Im Projekt IAW3³ testet das wissenschaftliche Team auch ganz neue Aufbereitungstechnologien. So könnten hyperspektrale Sensoren dabei helfen, die kritischen Metalle in Grubenwasser und Co. direkt zu detektieren und in Sekundenschnelle ihre mineralogische Zusammensetzung bewerten. Die vielversprechendsten Methoden sollen am Forschungszentrum Nachbergbau in Bochum weiterentwickelt werden.