Von Augsburg bis Wuppertal wünscht sich die Stadtbevölkerung mehr Bäume, mehr naturnahe Grünflächen, begrünte Wege und Dächer. Dies belegt eine repräsentative Befragung des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in den 23 größten deutschen Städten. Wie viel Grün eine Stadt bereits hat und wie sich eine Zu- oder Abnahme auswirken würde – das zeigt nun ein Onlinetool des Projekts „Stadtgrün wertschätzen“, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Städte mit mehr als 300.000 Einwohnern können in dem Tool berechnen, welche Vorteile ihnen zusätzliches Stadtgrün bietet – etwa für das Stadtklima, den Wasserrückhalt bei Starkregen und die Aufenthaltsqualität. Gerade weil Hitze und Extremwetterereignisse durch die Klimakrise zunehmen, sind dies wichtige Leistungen für lebenswerte Städte, betonen die Forschenden.
„Maßnahmen zur Steigerung des Grünanteils erbringen für die Bevölkerung in den Städten einen jährlichen Nutzen, der einem Euro-Wert in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe entspricht“, erklärt Projektleiter Professor Jesko Hirschfeld vom IÖW. „Unser frei zugängliches Onlinetool macht diesen Mehrwert mit wenigen Klicks sichtbar. Grundlage ist eine umfangreiche Datenbank zu den Leistungen von Stadtgrün für eine gesunde, lebenswerte und soziale Stadt.“ Ab sofort steht das Tool auf http://www.stadtgruen-wertschaetzen.de bereit. An der Entwicklung waren neben dem IÖW auch die Humboldt-Universität zu Berlin und die Grünflächenämter von Berlin-Neukölln, Karlsruhe sowie Leipzig beteiligt.
Mehrheit fordert grünere Städte
Dass Stadtbewohnern beim Stadtgrün noch reichlich Verbesserungsbedarf sehen, ergab eine repräsentative Befragung des IÖW im Sommer 2021: Mehr als drei Viertel der 5.100 befragten Großstädter*innen wünschten sich zusätzliche Grünflächen und Straßenbäume.
„Mit seinen vielseitigen Leistungen erbringt Stadtgrün einen bedeutenden Beitrag für die Lebensqualität in unseren Städten. Grüne Städte sind lebenswert – und das wird auch von der Stadtgesellschaft erkannt“, sagt Rüdiger Dittmar, Präsident der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz GALK e. V. „Es lohnt sich also in Stadtgrün zu investieren! Das zeigt das auch das Stadtgrün-Bewertungstool noch einmal eindrücklich.“
Onlinetool: Fundierte Zahlen für Stadtplanung und Bürgern
Wie stark würde Berlin profitieren, wenn man die Hälfte aller geeigneten Dachflächen begrünt? Steigt die Lebensqualität für Einwohnern von Köln, wenn auf fünf Prozent der Stadtfläche zusätzliche Grünflächen entstehen? Was haben die Menschen in Karlsruhe davon, wenn entlang der Straßen pro 100 Metern drei zusätzliche Bäume gepflanzt werden? Mit dem Stadtgrün-Bewertungstool können Stadtverwaltungen, Politik und interessierte Bürger*innen solche Szenarien selbst durchspielen.
„Wenn Städte ihr Stadtgrün weiterentwickeln wollen, hilft ihnen das Bewertungstool dabei, besondere Potenziale zu erkennen und mit Bürger*innen über verschiedene Strategien zu diskutieren“, erklärt Catharina Püffel vom IÖW. „Ausgehend von der bestehenden Ausstattung mit verschiedenen Grüntypen lassen sich mit einfachen Schiebereglern Szenarien für mehr Grün einstellen. In wenigen Sekunden berechnet das Tool, welcher Mehrwert dadurch entsteht.“
Wenn beispielsweise Leipzig den Anteil seiner Grünflächen von derzeit 20 auf 25 Prozent der Stadtfläche, die Zahl der Bäume auf 10 pro 100 Meter und den Anteil der begrünten Dächer auf 50 Prozent steigern würde, ergibt sich dadurch ein zusätzlicher Nutzen von mehr als 38 Millionen Euro pro Jahr.
Dazu zählen der Schutz vor Überflutungen und Hitze, das Binden von CO2 und Schadstoffen, aber auch soziale und kulturelle Aspekte wie Erholungsnutzen und die Aufwertung des Stadtbilds. In Hamburg würde ein vergleichbares Szenario einen Nutzen von 85 Millionen, in Berlin deutlich über 100 Millionen Euro pro Jahr ergeben.
Finanzielle Verluste, wenn Stadtgrün verdorrt oder offene Flächen versiegelt werden
Von einem steigenden Grünanteil sind viele Städte allerdings noch weit entfernt – im Gegenteil: Zehntausende von Stadtbäumen sind in den letzten Jahren durch den Trockenstress in Folge von mehreren Dürrejahren abgestorben und mussten gefällt werden. Grünflächen stehen unter Druck, wo zusätzlicher Wohnraum, öffentliche Einrichtungen und Gewerbeflächen gebaut werden sollen. Das Stadtgrün-Bewertungstool kann auch berechnen, wie hoch die Verluste für die Bevölkerung sind, wenn Grünflächen wegfallen und Straßenbäume verloren gehen: Solche Kosten erreichen schnell hohe zweistellige Millionenbeträge pro Jahr und müssen von den Stadtregierungen bei Planungsentscheidungen und bei der finanziellen Ausstattung ihrer Grünflächenämter angemessen berücksichtigt werden, mahnen die Wissenschaftler.
Über das Projekt:
Das Forschungsprojekt „Stadtgrün wertschätzen II“ hat ein datenbankgestütztes Bewertungstool entwickelt, mit dem der Nutzen von Stadtgrün abgebildet und in Geldwerten ausgedrückt werden kann. Neben dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und der Humboldt-Universität zu Berlin sind drei Praxispartner an der Forschung beteiligt: das Amt für Stadtgrün und Gewässer der Stadt Leipzig, das Gartenbauamt der Stadt Karlsruhe und das Straßen- und Grünflächenamt des Berliner Bezirks Neukölln. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Fördermaßnahme „Nachhaltige Transformation urbaner Räume“ gefördert.
http://www.ioew.de/projekt/stadtgruen_wertschaetzen_ii