Die Gas-Knappheit und der soziale Friede

Ukrainische Flagge Pixabay/jorono 1037 Bilder

Die hohen Energiepreise infolge von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und dem Ausfall russischer Energielieferungen gefährden den sozialen Frieden in Deutschland. Die absehbaren Mehrkosten für eine vierköpfige Familie mit Gasheizung belaufen sich auf 264 Euro im Monat, trotz der eingeleiteten Entlastungen. Doch ein zielgerichtetes weiteres Sozialpaket mit Pauschalzahlungen und einem zusätzlichen Volumen von knapp 30 Milliarden Euro könnte diese Last auf 133 Euro reduzieren – und im ärmsten Fünftel auf 66 Euro. Dies empfiehlt eine Studie des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change), die jetzt online verfügbar ist.

Das MCC beleuchtet im Rahmen seiner Klimapolitik-Forschung seit Jahren die Verteilungseffekte höherer Energiepreise und möglicher staatlicher Ausgleichsmaßnahmen; es stützt sich dabei auf die großen Repräsentativumfragen EVS und Mikrozensus sowie ein eigens entwickeltes Simulationsmodell. „In der aktuellen Krise ist unser Know-how zusätzlich gefordert“, sagt Matthias Kalkuhl, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Wirtschaftswachstum und menschliche Entwicklung und Leitautor der Studie . „Wir können hier vorrechnen, wie Deutschland trotz der Energiepreiskrise und vor allem trotz der dramatischen Gasknappheit gut durch den Winter kommen und den sozialen Frieden sichern kann.“

Basis ist die aus den Markttrends abgeleitete Annahme, dass Gas im Zwölfmonatszeitraum Mai 2022 bis April 2023 über alle Haushalte gerechnet 20 Cent je Kilowattstunde teurer ist als vor der Krise – das sind 286 Prozent mehr. Heizöl kostet 138 Prozent extra, Fernwärme 118, Diesel 57, Super-Benzin 34 und Strom 31 Prozent. Laut Studie wird der vierköpfige Gas-Haushalt in diesem Zwölfmonatszeitraum schon durch die bisherige Politik um 125 Euro monatlich entlastet, er würde sonst für Energie statt der 264 Euro 389 Euro draufzahlen. Die Entlastung entsteht durch die ab Oktober geplante Senkung der Mehrwertsteuer auf Erdgas von 19 auf 7 Prozent (Kosten: 5 Milliarden Euro bis April 2023) und die „Entlastungspakete I + II“ vom Frühjahr (27 Milliarden Euro). Doch diese Politik hat große Schwächen, wie die Studie belegt.

Denn die Hilfe fokussiert weder auf besonders betroffene Gas-Haushalte noch auf Bedürftige: Im ärmsten Fünftel zahlt der vierköpfige Gas-Haushalt immer noch 168 Euro drauf – das ist ein Sechstel des Einkommens nach Abzug fester Ausgaben für Wohnen, Kreditraten, Telefon und Internet, Kita-Gebühren und Versicherungen. Zudem verschärft Hilfe in Form von Tankrabatt und Mehrwertsteuersenkung die Versorgungskrise, weil sie über den Anreiz zum Energiesparen mindert. Daher wird auch die in Deutschland diskutierte und in Spanien eingeführte Preisobergrenze für einen Gas-Grundverbrauch (Gaspreisdeckel) in der Studie kritisch bewertet: Sie könnte schon in einer Ausprägung mit mäßiger Entlastungswirkung noch größere Fehlanreize erzeugen als die Mehrwertsteuersenkung auf Erdgas.

Als Strategie für die nächsten Monate empfiehlt die Studie, die Mehrwertsteuersenkung abzusagen und durch das folgende Sozialpaket zu ersetzen:

(1) Die einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro im September für Berufstätige wird ergänzt durch eine regelmäßige „EnergiepreispauschalePlus“ für alle bis zu einem bestimmten Einkommen (3000 Euro Nettogehalt für Einzelpersonen, 6000 Euro für verheiratete Paare). Es beträgt pro Kopf 80 Euro monatlich für Steuerpflichtige und 40 Euro für nicht Steuerpflichtige.

(2) Zusätzlich fließt eine „Gaspauschale“ von 100 Euro im Monat an alle Haushalte mit Gasheizung.

„Diese Hilfen wirken zielgerichteter und setzen bessere Anreize als die bisherige Krisenpolitik“, sagt MCC-Direktor Ottmar Edenhofer, ein Co-Autor der Studie. „Sie müssen zunächst über die bestehenden Zahlungsbeziehungen mit Finanzamt, Renten- und Kindergeldkasse fließen. Aber es sollte jetzt rasch ein einheitlicher Kanal für Direktzahlungen an die Bevölkerung stehen; wir machen konkrete Vorschläge, was hier die nächsten Schritte sind. Die Energiekrise dürfte bis 2024 dauern – und auch die Klimapolitik braucht diesen Zahlungskanal dringend für ein Klimageld als Ausgleich für CO₂-Bepreisung fossiler Brennstoffe.“