Können vertikal angebrachte Grünflächen an Fassaden das Mikroklima in Städten verbessern und Wasser speichern? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der FH Bielefeld finden das zurzeit heraus und forschen an einer neuartigen Kultivierung von Moosen und Mikroalgen auf textilen Substraten.
Der Klimawandel beschert uns nicht nur in den Sommermonaten steigende Temperaturen und zunehmende Trockenperioden. Insbesondere in den Städten werden die Themen Abkühlung und Wasserspeicherung immer wichtiger. Wasserflächen können kühlen, Grünflächen speichern Regenwasser – im Gegensatz zu versiegelten Flächen. Doch wie kann man Grünflächen und Wasserspeicher schaffen, wenn kein Raum zur Verfügung steht? Denn ein See oder eine Grünfläche lassen sich nicht mal eben dort anlegen, wo bereits eine Bebauung, eine Straße, ein Spielplatz oder ein Parkplatz existiert. Dann muss die Grünfläche eben vertikal verlaufen!
Moose wachsen vertikal auf textilem Untergrund
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fachhochschule (F) Bielefeld arbeiten daran, Fassaden auf Basis textiler Substrate zu begrünen – mit Moosen oder Mikroalgen. „So ließen sich Stadtbegrünung, eine Verbesserung des Mikroklimas und das Auffangen großer Regenmengen kombinieren“, sagt Projektleiter Jan Lukas Storck. Das Ganze sei auch auf Innenräume übertragbar. Zwar gibt es bereits Konzepte für solch vertikale Grünflächen, der Schwerpunkt der Forschung in dem FH-Projekt liegt aber darauf, dass die Moose und Algen auf textilem Untergrund wachsen.
Zudem soll ein automatisiertes Steuerungssystem für optimale Wuchsbedingungen entwickelt werden.
Die textilen Substrate sollen als Grundlage für eine vertikale platzsparende Kultivierung dienen. Das Material soll alterungsbeständig sein, nicht schimmeln, mechanisch gute Tragfähigkeit auch im nassen Zustand aufweisen sowie Moosen und Algen guten Halt bieten. Um den bestmöglichen Untergrund zu finden, arbeitet die FH mit der Strickerei Bache Innovative mit Sitz in Rheinberg am Niederrhein zusammen.
„Durch die hohe Expertise unseres Partners und dessen Maschinenpark, der dem neuesten Stand der Technik entspricht, ist dieser in der Lage, uns mit individuellen und komplexen Gestricken zu versorgen“, erklärt Bennet Brockhagen, Mitarbeiter im Projekt. Die Forschungsergebnisse der FH sollen die Firma Bache dabei unterstützen, für einen grünen Bewuchs geeignete Textilien, die über eine hohe Wasserspeicherkapazität verfügen und sich ideal mit Konzepten zur automatisierten Kultivierung verbinden lassen, zu entwickeln und zu vermarkten.
Nach rund anderthalb Jahren Projektlaufzeit konnte der biologisch-technische Assistent Bennet Brockhagen einige Varianten ausprobieren. Die passive Bewässerung über Kapillarbrücken scheint vielversprechend zu sein: „Man kann sich das so vorstellen, dass ein Faden mit hoher Kapillarkraft das Wasser aus einem Reservoir aufsaugt. Der Faden ist wiederum in dem Gestrick eingearbeitet, auf dem die Moose wachsen. Wir haben unter anderem getestet, welches Material sich am besten eignet und in welchen Abständen diese Kapillarbrücken verarbeitet werden müssen“, erklärt Brockhagen.
Sein Zwischenfazit: „Wir haben geeignete Substrate gefunden. Aktuell ist unser bestes Material ein zwei- oder dreifädiges Gestrick aus Tencel. Das ist eine synthetische Faser, die aus Holz gewonnen wird. Allerdings speichert das Textil unheimlich viel Wasser und wird sehr schwer. Das muss dann in der Gebäudestatik berücksichtigt werden.“
Außerdem hat sich gezeigt, dass Moose einfacher im Handling sind als Algen: „Moose sind sehr viel besser geeignet, um Wasser zu speichern, und ihre Wachstumsgeschwindigkeit ist kontrollierbarer als bei Algen“, erklärt der biologisch-technische Assistent. Daher haben die Forscherinnen und Forscher die Begrünung mit Moosen zunächst in den Fokus gerückt.
Versuche laufen dazu nicht nur im Labor, sondern auch im Freien. So testen sie unter anderem, welches textile Material am besten Feuchtigkeit speichert, indem sie kleine Taschen aus verschiedenen Textilien genäht haben. Dort hinein wurden dann die Moose gelegt. Die Moostaschen sind draußen in Fächern einer ebenfalls textilen Aufhängung untergebracht und werden nur durch Regen bewässert. „Angesichts der aktuellen Trockenheit sind die Moose insgesamt sehr ausgetrocknet, bei genauem Hinsehen erkennt man jedoch Unterschiede. Und das Schöne ist, mit dem nächsten Niederschlag erholen sie sich wieder“, erklärt Bennet Brockhagen.
Auf dem Dach des FH-Gebäudes findet man weitere Versuchsaufbauten: Hier haben die Forschenden heimische Moose auf verschiedene Textilien aufgenäht. Der Versuch, eine Masse aus püriertem Moos und Buttermilch, die als Nährstoffgrundlage dient, auf Textilien aufzutragen, war weniger erfolgreich. „Das Verfahren wird im Internet gern Moos-Graffiti genannt, scheint aber eher in tropischen Regionen mit sehr hoher Luftfeuchtigkeit zu funktionieren“, stellt Bennet Brockhagen fest. Das Moos aufzunähen, sei erfolgversprechender.
Optimale Wachstumsbedingungen schaffen – auch an großen Fassaden!
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit: die Wachstumsbedingungen durch Temperatur-, Feuchtigkeits- und Leitfähigkeitssensoren zur Messung der Nährstoffkonzentration genau in den Blick zu nehmen. „Dazu laufen bereits vielversprechende Studierendenprojekte“, so Projektleiter Jan Lukas Storck. Und es soll neben der passiven Bewässerung, bei der sich das Wasser aus einem Reservoir aufgrund von Kapillarkräften gleichmäßig im Textil verteilt und so die Pflanzen stetig mit diesem versorgt werden, auch eine aktive Bewässerung geben.
„Eine automatisierte Variante durch computergesteuerte Bewässerung haben wir ebenfalls bereits realisiert“, berichtet Jan Lukas Storck.
Studierende haben in eine Art Rahmen das Bewässerungssystem mit entsprechenden Steuerungen verbaut. Die automatisierte Bewässerung inklusive der Kontrolle der Wachstumsbedingungen kann Storck sich zum Beispiel für große Fassaden an Bürogebäuden oder Wohngebäuden vorstellen, die zentral vom Gebäudemanagement gesteuert werden.