Damit die Energiewende gelingen kann, soll die Offshore-Windenergie massiv ausgebaut werden. Das geht nicht ohne genaue Kenntnisse über den Baugrund. Forschende aus der U Bremen Research Alliance haben ein speziell auf die Anforderungen von Nord- und Ostsee zugeschnittenes Verfahren entwickelt, das mithilfe seismischer Messmethoden den Untergrund erfasst und charakterisiert. So kann effizienter und kostengünstiger gebaut werden.
Von außen wirkt das armdicke Kabel, das aufgerollt auf einer Trommel auf das Vermessungsschiff „Fugro Searcher“ in Bremerhaven geladen wird, wie eine x-beliebige Leitung. Unter dem Kabelmantel aber verbirgt sich Hightech. Im Abstand von jeweils einem Meter sind hochempfindliche Mikrofone angebracht. „Wir ziehen das Messkabel hinter dem Schiff her“, erläutert Dr. Stefan Wenau, Senior Scientist am Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES, einer Mitgliedseinrichtung der U Bremen Research Alliance. „Die Mikrofone fangen dann die Schallwellen auf, die eine Signalquelle zuvor ausgesendet hat.“
„Sparker“ wird diese Quelle genannt, auch sie wird durch das Wasser geschleppt. Ihre Schallwellen dringen mehrere Hundert Meter tief in den Meeresboden ein, die Sedimentschichten reflektieren sie und schicken sie an die Oberfläche zurück. Dort zeichnen die Mikrofone in dem gut 100 Meter langen Kabel die Signale auf. „Durch die Vielzahl der Empfänger erfassen wir einzelne Punkte im Untergrund mehrfach. So lässt er sich besser rekonstruieren“, erläutert Wenau das Prinzip der hochauflösenden Mehrkanalseismik. Anhand der Daten entsteht ein Schichtmodell, eine flächige Abbildung des Untergrunds.
Die Gründungskosten machen einen erheblichen Teil der Gesamtkosten eines Offshore-Windparks aus
„N 9“ heißt das Ziel der „Fugro Searcher“, ein gut zehn mal zwanzig Seemeilen großes Gebiet in der westlichen Nordsee, welches das Bundesamt für Schifffahrt und Hydrographie (BSH) als Fläche für einen Offshore-Windpark ausgewiesen hat. Mit Unterbrechungen zwei, drei Monate wird das Schiff zur Vorerkundung dieser und weiterer Flächen auf der Nordsee unterwegs sein und seine Profillinien im Abstand von 150 Metern abfahren. „Vor zwei Jahren waren wir gerade mal drei Wochen offshore“, erinnert sich Wenau. Damals zählte die Abteilung Baugrunderkundung am Fraunhofer IWES acht Mitarbeitende, heute sind es 25.
Eine hohe Windausbeute, keine klagenden Nachbarn – die Offshore-Windenergie hat enorm an Fahrt aufgenommen, trotz hoher Erschließungskosten. Rund acht Gigawatt Nennleistung sind in der deutschen Nord- und Ostsee derzeit installiert. Bis 2030, so hat es die Bundesregierung beschlossen, sollen es mindestens 30 Gigawatt sein. Dafür braucht es neue Flächen. Und für deren Planung ist das Wissen über die Eigenschaften des Untergrunds eine unabdingbare Vorrausetzung.
Informationen über die Bodenbeschaffenheit sind deshalb für die potenziellen Betreibern von enormer Bedeutung. Welcher Fundamenttyp eignet sich am besten für den Baugrund? Wie tief muss das Fundament in den Boden getrieben werden? Welchen Durchmesser soll es haben? Welcher genaue Standort ist der beste für eine Anlage? „Das sind Fragen, die anhand unseres geologischen Modells geklärt werden“, erläutert Wenau.
Die Vermessung des Baugrunds liefert dabei nur erste Hinweise. Anhand der Ergebnisse werden sodann Standorte für Bohrungen bestimmt und Sonden in den Boden gepresst, um detailgenauere Erkenntnisse zu bekommen über die Eigenschaften des Untergrunds. Am Ende all fließen diese Informationen in ein Untergrundmodell ein, welches als Grundlage für das Design der Fundamente dient und eine Risikoanalyse für die anschließende Installation ermöglicht.
Denn die Kräfte, die auf eine Offshore-Windenergieanlage einwirken, sind extrem
Stürme, hoher Wellengang und sonstiges schlechtes Wetter zerren an den Windrädern, die inzwischen immer größer und schwerer werden. Das Gesamtgewicht einer Anlage kann schnell 1000 Tonnen übersteigen, der Rotordurchmesser 200 Meter und mehr erreichen. Um sie dauerhaft stabil im Meeresboden zu verankern, gibt es verschiedene Gründungsformen, abhängig von Gewicht, Wassertiefe und eben der Bodenbeschaffenheit.
Gut drei Viertel aller Anlagen in deutschen Gewässern stehen auf Monopiles – großen Stahlröhren mit oftmals zehn Metern Durchmesser, die bis zu 80 Meter tief in den Boden gerammt werden. Oft genutzt werden auch vierbeinige, fachwerkartige Stahlkonstruktionen, sogenannte Jackets. Ihre Füße enden in Hülsen, die von in den Meeresboden getriebenen Fundamentpfählen gehalten werden.
Häufigstes Hindernis im Sediment sind mehrere Meter große Findlinge und widerspenstige bindige Schichten, zumindest in der Nordsee. Deren Geologie ist durch Gletscherablagerungen aus der Eiszeit geprägt, der Boden setzt sich vorwiegend aus Sand, Ton und Torf zusammen. Insbesondere der Ton kann zum Problem werden. „Wenn man einen Pfahl durch den Ton hämmert, kann sich das Material festsaugen, man bekommt das Fundament nicht rein“, erklärt Wenau.
Die Geologie der Ostsee hingegen ist älter. Die oberste Schicht des Meeresbodens besteht oft aus losem Schlick, darunter befindet sich zumeist ein Geschiebe der Gletscher, manchmal auch mit größeren Findlingen. In der darauffolgenden Kreide können sich sogenannte Flintsteine bilden – ein weiteres Hindernis. Je genauer die Kenntnis über ihre Lage ist, desto präziser können die Fundamente geplant werden und desto geringer sind Kosten und Risiken.
„Dass wir mit der Forschung so früh dran waren, zahlt sich heute aus.“
„Boulder“ werden die Findlinge im Englischen genannt. Um sie besser entdecken zu können, nutzt das Fraunhofer IWES eine weltweit einzigartige Technologie: ein patentiertes „Boulder-Detection-System“. „Unsere ganze Technik ist darauf ausgelegt, den Meeresboden in einer Tiefe von bis zu 200 bis 300 Meter möglichst genau abzubilden. Das können international ganz wenige“, betont Wenau.
Die Boulder-Detection ist ein Ergebnis eines Forschungsprojekts auf dem Fachgebiet „Meerestechnik – Umweltforschung“ der Universität Bremen unter Leitung von Prof. Dr. Volkhard Spieß. Beide Institutionen der U Bremen Research Alliance kooperieren eng miteinander. Die Idee und das Konzept für das Verfahren stammen von der Universität, die Umsetzung ist eine Gemeinschaftsproduktion. Aus der Universität heraus ist Anfang der 2010er-Jahre die Abteilung Baugrunderkundung am Fraunhofer IWES erst entstanden. „Wir ergänzen uns sehr gut“, sagt Spieß. „Als Universität können wir uns auf Themen konzentrieren, die noch in der Experimentierphase sind.“ Währenddessen fokussiert sich das Fraunhofer IWES stärker auf die Anwendungen.
Geophysiker Spieß forscht bereits seit Anfang der 2000er-Jahre an hochauflösender Seismik für die Entwicklung von Windfarmen in flacheren Gewässern wie der Nord- und Ostsee. Damals waren Offshore-Windparks noch exotisch, ein Boom weit entfernt. „Dass wir so früh dran waren, zahlt sich heute aus“, sagt Spieß. „Da sind wir auch ein bisschen stolz drauf.“ Bremen ist inzwischen einer der weltweit führenden Standorte bei dieser Technologie. Spieß´ Studierenden sind gefragt und müssen sich über Jobs keine Gedanken machen. Oft wechseln sie ans Fraunhofer IWES.
So war das auch bei Stefan Wenau, der die Kooperation verkörpert wie kaum ein Zweiter. Nach dem Geologie-Studium in Freiberg zog es den heute 36-Jäh-rigen an die Universität Bremen. Seinem Master ließ er die Promotion in der Arbeitsgruppe von Professor Spieß folgen, in der er noch einige Jahre arbeitete, bevor er ans Fraunhofer IWES wechselte.
„Der große Reiz des Jobs ist seine Vielfalt – und dass ich mein Wissen für die Energiewende einsetzen kann. Das ist mir schon sehr wichtig“, betont Wenau. „Ich bin bei allem dabei: von der Fahrt des Schiffes, über die Verarbeitung der Daten und die Erstellung des Schichtmodells bis hin zur Entwicklung neuer Forschungsprojekte.“
Wie kann man die Vermessungstechnik effizienter gestalten, wie den Untergrund noch genauer abbilden? Das sind für Offshore-Windenergieanlagen wichtige Themen, an denen die Wissenschaftlern in der U Bremen Research Alliance gemeinsam forschen. „Je besser das Modell ist, desto präziser und kostengünstiger kann man planen“, sagt Wenau. Auch der Faktor Zeit spielt eine wichtige Rolle. Der Bau eines Windparks hat eine Vorlaufzeit von fünf bis sechs Jahren. „Wenn wir die Ausbauziele erreichen wollen, müssen wir massiv an Tempo zulegen.“