Die Bedeutung der Amazonas-Mündung für die Bioproduktivität des westlichen Atlantiks und das globale Klima ganzheitlich verstehen – das ist das Ziel von Andrea Koschinsky, Professorin für Geowissenschaften an der Jacobs University Bremen. Dafür beprobte sie den Fluss und seine Mündung mit einem Team von rund 30 Forschenden. Ihre Ergebnisse liefern wichtige geochemische Basisdaten, die bei künftigen Bemühungen um die Eindämmung des Klimawandels hilfreich sein können.
Seit Jahren forscht Koschinsky zu Umweltthemen. Ein Fokus dabei ist, in welcher Form Spurenelemente wie Eisen oder Kupfer und organische Substanzen durch den Amazonasstrom in den Atlantik gelangen. Anhand von Proben aus Fluss und Mündungsbereich können Koschinsky und ihre Kolleg:innen den Status quo beschreiben und voraussagen, wie anthropogene Einflüsse, beispielsweise Rodung oder Goldwäsche, die geochemischen Stoffeinträge und das Ökosystem negativ beeinflussen.
Ein wichtiger Faktor für die Bioproduktivität der Amazonas-Region und das Mündungsgebiet ist der Wechsel zwischen Regen- und Trockenzeit. Der Wasserspiegel des Stroms variiert dabei bis zu 15 Meter. Die weitreichenden Überschwemmungen tragen beispielsweise zur Verbreitung von Samen bei, die überschwemmten Gebiete dienen außerdem als riesige Kohlenstoffspeicher. Staudämme, die von der brasilianischen Regierung gebaut werden, um sogenannte „Grüne Energie“ zu erzeugen, sind daher weniger nachhaltig als sie klingen. Ohne die regelmäßige Überschwemmung in der Regenzeit besteht die Gefahr, dass der Boden austrocknet, Wälder absterben und große Mengen an organischem Kohlenstoff freigesetzt werden.
Zur Regenzeit 2018 brach Koschinsky mit dem Forschungsschiff METEOR auf ihre erste Forschungsfahrt in das Amazonas-Mündungsgebiet auf. Gemeinsam mit Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtz-Zentrums Kiel, der Universität Oldenburg sowie vier brasilianischen Instituten, brachte sie erstmals einen hochauflösenden Probensatz vom größten Ästuar-System der Welt mit zurück. Die großen Datensätze für Metalle, organische Substanzen und bestimmte Isotope zeigen: das System scheint derzeit noch weitestgehend intakt.
Adrienne Hollister, Doktorandin in Koschinskys Arbeitsgruppe an der Jacobs University, beschäftigte sich intensiv mit dem Element Kupfer. Ein Vergleich mit Proben aus den 1970er Jahren zeigte, dass der Gehalt an Kupfer im Flusswasser sowie sein Verhalten, wenn Fluss- und Meerwasser sich im Mündungsbereich mischen, nahezu deckungsgleich ist. Auch der Quecksilbergehalt in der Flussmündung ist noch relativ gering. „Grundsätzlich sind es natürlich erfreuliche Nachrichten, dass die gewaltigen Wassermassen und Ausmaße des Amazonas-Ästuars menschliche Einflüsse scheinbar noch abfangen können“, sagt Koschinsky, „dennoch müssen wir alles dafür tun, das System zu stabilisieren, um negative Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima zu verlangsamen.“
Eine bereits bewilligte, konsekutive Forschungsfahrt zur Trockenzeit wurde pandemiebedingt verschoben. Der neue Termin ist zwar voraussichtlich erst 2024, dennoch trafen sich kürzlich 16 der Forschenden um Koschinsky auf dem Campus der Jacobs University. Weitere elf ihrer Kolleg:innen nahmen online teil. Besprochen wurden bereits abgeschlossene Forschungsarbeiten und mögliche gemeinsame Publikationen mit bisher nicht veröffentlichten Daten. Auch kleinere Kampagnen mit den brasilianischen Partnern in der Amazonasregion sowie eine Konferenzsession zum Verhalten von Spurenmetallen und Nährstoffen in großen Flüssen und Ästuarien für das internationale Aquatic Sciences Meeting 2023, wurden diskutiert.
Mit Blick auf die nächste Forschungsfahrt besprachen sie neue Strategien und Beprobungsmethoden und auch: Wer darf überhaupt mitfahren? Es stehen viele neue Partnerorganisationen in den Startlöchern, wodurch sich auch das Portfolio der zu untersuchenden Parameter erweitert. Der Platz auf dem Forschungsschiff METEOR ist jedoch auf 30 Personen begrenzt, sodass eine Schwerpunktsetzung im Vorfeld entscheidend ist.
Den Stoffkreislauf im Ökosystem Amazonas zu verstehen, ist im Hinblick auf den zunehmenden Druck auf die Umwelt und den voranschreitenden Klimawandel essentiell. „Die Vielfalt an Perspektiven, Methoden und Arbeitskraft für die Auswertung der Daten ermöglicht es, ein ganzheitliches Bild des komplexen Ökosystems anzufertigen. So werden Veränderungen leichter sichtbar und könnten sogar auf politische Entscheidungen zurückgeführt werden, oder solche in Zukunft beeinflussen“, sagt Koschinsky.