Auf den Kopf gestellt: Ein neuartiger, netzwerkdynamischer Planungsansatz für städtische Fahrradweg-Infrastruktur ermöglicht durch Umkehrung der üblichen Vorgehensweise eine nachfrageorientierte Gestaltung von Radwegenetzen. Die Fahrradfreundlichkeit von Städten ließe sich mit dem neuen Ansatz verbessern – und damit deren Nachhaltigkeit und Klimabilanz.
In Umfragen ist sich meist eine große Mehrheit der Befragten einig: Radfahren kann einen bedeutenden Beitrag zur Reduzierung von Treibhausgasen und zu einem nachhaltigen Verkehr gerade in dicht besiedelten Gebieten leisten. Demgegenüber ist in der Realität in vielen Ländern eine große Lücke zwischen Ideal und Wirklichkeit festzustellen. In Deutschland beispielsweise ist das Rad nur für rund ein Fünftel der Verkehrsteilnehmern das Mittel der Wahl, um kurze Strecken im Wohnumfeld zurückzulegen.
Bei der Frage nach den Gründen taucht ein Punkt immer wieder ganz vorne auf: Die gefühlte oder tatsächliche mangelnde Sicherheit auf den genutzten Radrouten. Die Steigerung des Fahrradanteils im Mix der Verkehrsarten hängt also entscheidend von einer ausreichend gut ausgebauten Radweginfrastruktur ab. Die Gestaltung effizienter Radwegenetze stellt jedoch ein komplexes Problem dar, bei dem es gilt, eine Vielzahl von Einschränkungen auszugleichen und gleichzeitig die gesamte Radverkehrsnachfrage zu befriedigen. Zudem stehen in vielen Kommunen nach wie vor nur vergleichsweise geringe Budgets für die Verbesserung der Fahrrad-Infrastruktur zur Verfügung.
Forscher der Professur für Netzwerk-Dynamik am Center for Advancing Electronics Dresden (cfaed) der TU Dresden schlagen in ihrer Studie einen neuen Ansatz vor, um effiziente Radwegenetze zu erzeugen. Dabei wird explizit die Nachfrageverteilung und die Routenwahl der Radfahrern auf der Grundlage von Sicherheitspräferenzen berücksichtigt. Denn die Entscheidung für die eine oder die andere Route fällt meist nicht allein auf der Basis der kürzest möglichen Strecke, sondern Faktoren wie (gefühlte) Sicherheit oder Attraktivität einer Route fließen mit ein.
Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist eine Umkehrung des üblichen Planungsprozesses: Unter realen Bedingungen entsteht ein solches Netz durch stetiges Hinzufügen weiterer Teilabschnitte. Die cfaed-Wissenschaftler hingegen starten mit einem idealen, vollständigen Radwegenetz, bei dem alle Straßen in einer Stadt mit einem Radweg ausgestattet sind. Aus diesem Netzwerk entfernen sie in einem virtuellen Prozess nach und nach einzelne, weniger genutzte Radwegsegmente.
Dabei wird die Routenwahl der Radfahrern fortlaufend aktualisiert. Im Ergebnis entsteht eine Abfolge von Radwegenetzen, die stets an die aktuelle Nutzung angepasst ist. Jede Stufe dieser Abfolge entspricht dabei einer Variante, die mit weniger finanziellem Aufwand umzusetzen wäre. So könnten Radverkehrsplanern sich diejenige Version heraussuchen, die zum real vorhandenen Budget ihrer Kommune passt.
„In unserer Studie veranschaulichen wir die Anwendbarkeit dieses nachfrageorientierten Planungsschemas für ausgedehnte Stadtbereiche von Dresden und Hamburg“, erklärt Christoph Steinacker, Erstautor der Studie. „Wir nähern uns hier einem praktischen Thema mit den Mitteln der Netzwerk-Dynamik. Unser Ansatz ermöglicht den Vergleich von effizienten Radwegenetzen unter verschiedenen Bedingungen. Zum Beispiel können wir dadurch den Einfluss verschiedener Nachfrageverteilungen auf die entstehenden Netzwerkstrukturen messbar machen.“
Der vorgeschlagene Ansatz kann somit eine quantitative Bewertung der Struktur aktueller und geplanter Radwegenetze ermöglichen und die nachfrageorientierte Gestaltung effizienter Infrastrukturen unterstützen.