Ein Forscherduo zeigt die ökologische Bedeutung chemischer Kommunikation auf Kommunikation ist alles – das gilt auch für Algen. Ihre chemische Sprache und deren Bedeutung in aquatischen Ökosystemen sind aber noch weitestgehend unverstanden. Ein Forscherduo des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und des Plymouth Marine Laboratory (PML) hat dazu im Fachmagazin Biological Reviews eine Übersichtsstudie veröffentlicht. Sie fasst den aktuellen Wissensstand zusammen und zeigt neue Ansätze für die zukünftige Erforschung der Sprache der Algen und ihrer ökologischen Zusammenhänge auf.
Können Algen sprechen?
„Ja, sie haben zwar keinen Mund und keine Ohren, dennoch kommunizieren Algen mit Artgenossen und anderen Organismen in ihrer Umgebung – und zwar über flüchtige organische Substanzen, die sie ins Wasser abgeben“, sagt Dr. Patrick Fink, Gewässerökologe am UFZ-Standort Magdeburg. Diese Signalstoffe werden kurz BVOCs (biogenic volatile organic compounds) genannt und sind das Äquivalent zu Geruchsstoffen in der Luft, über die etwa Blütenpflanzen kommunizieren und ihre Bestäuber anlocken. Einige Pflanzenarten setzen unter Schädlingsbefall Geruchsstoffe frei, die Fraßfeinde der Schädlinge zu ihnen führen. „Solche Interaktionen und Schutzmechanismen gibt es auch bei Algen“ sagt Fink. „Schließlich gehören sie zu den ältesten Organismen der Erde, und die chemische Kommunikation ist evolutionsgeschichtlich die ursprünglichste Form, Informationen auszutauschen. Dennoch ist unser Wissen hier noch sehr bruchstückhaft.“
Patrick Fink ist Leitautor des kürzlich im Fachmagazin Biological Reviews erschienenen Artikels, in dem er den aktuellen Stand der Forschung zur chemischen Kommunikation von Algen zusammengetragen hat. „Aus Laboruntersuchungen ist zum Beispiel bekannt, dass einige Blaualgen-Arten Wasserflöhe auf Abstand halten, indem sie BVOCs ins Wasser abgeben. Dieses Signal wirkt offenbar abschreckend und hat für die Algen einen echten Mehrwert, nämlich effektiven Fraßschutz“, sagt Fink. Noch nicht verstanden ist dagegen, warum einige Süßwasseralgen, die als Biofilm beispielsweise auf Steinen oder Muschelschalen wachsen, bei der Beweidung durch Wasserschnecken BVOCs freisetzen.
Denn: Die Signalstoffe locken weitere Schnecken an. „Die Wasserschnecken nutzen die BVOCs ganz offensichtlich zu ihrem Vorteil – doch welche eigentliche Funktion sie für die Algen haben, ist bislang ungeklärt“, sagt Fink. Ein Beispiel aus dem Meer: Eine Kieselalgenblüte ist für Ruderfußkrebse ein wahres Fest. Das reiche Nahrungsangebot müsste dafür sorgen, dass ihre Populationen anschließend anwachsen. Das ist aber nicht der Fall. „Zwar sind die Krebse gut genährt, doch ihre Brut, die sie in ihrem Eisack mit sich tragen, ist stark gefährdet. Denn die BVOCs der Kieselalgen hemmen die Zellteilung und stören so die Embryonalentwicklung“, erklärt Fink. „Auf diese Weise sorgen die Kieselalgen dafür, dass der Fraßdruck auf ihre Folgegenerationen nicht zu groß wird – und somit für den Erhalt ihrer Art.“
Anfang der 1970er Jahre stieß man erstmalig in Untersuchungen zu Makroalgen auf die Sprache der Algen. „Makroalgen – wie der auch von den deutschen Küsten bekannte Blasentang – entlassen Geschlechtszellen ins Wasser, um sich fortzupflanzen. Die männlichen und weiblichen Geschlechtszellen geben jeweils Lockstoffe ab, damit sie sich in den Weiten des Ozeans auch finden“, erklärt Dr. Mahasweta Saha, Meereschemie-Ökologin am Plymouth Marine Laboratory (PML) in Großbritannien.
„Das war der erste Hinweis darauf, dass Algen mit chemischen Signalstoffen kommunizieren, und dass diese wichtige ökologische Funktionen erfüllen.“ In ihrer Publikation weist das Autorenduo auf den mutmaßlich bedeutenden Einfluss von BVOCs innerhalb von Gewässerökosystemen hin, zeigt Wissenslücken auf und benennt mögliche zukünftige Forschungsschwerpunkte wie koevolutionäre Prozesse zwischen Signalsendern und -empfängern oder die Konsequenzen menschengemachter Umweltveränderungen auf Gewässerökosysteme. „Algen bilden als Primärproduzenten die Lebensgrundlage aller aquatischen Nahrungsnetze“, sagt Fink.
„Daher ist es wichtig, dass wir die chemische Kommunikation von Algen und ihre grundlegenden funktionalen Zusammenhänge in Gewässerökosystemen besser verstehen lernen.“
Ein Mehr an Wissen über die Sprache der Algen könnte auch für technologische Anwendungen nützlich sein, zum Beispiel um Schädlinge mithilfe von Signalstoffen fernzuhalten und so den Einsatz von Pharmaka in der Aquakultur zu reduzieren, meinen die Autoren. Zudem sei ein besseres Verständnis der chemischen Kommunikationswege wichtig, um effizientere Umweltschutzstrategien entwickeln zu können.
„Wir können Gewässer nur schützen, wenn wir verstehen, wie ihre internen Regulationsmechanismen funktionieren“, sagt Fink.
Erste Studien zeigen, dass die chemische Kommunikation mariner Algen durch die zunehmende Ozeanversauerung infolge des Klimawandels gestört wird. „Zudem ist es sehr wahrscheinlich, dass es zwischen Mikroschadstoffen menschlichen Ursprungs und den BVOCs der Algen zu Wechselwirkungen kommt. Die fein abgestimmten und über lange Zeiträume stabilen chemischen Kommunikationsprozesse werden auf diese Weise gestört – was gravierende Konsequenzen für das Funktionieren der Gewässerökosysteme haben kann“, warnt Fink.