Hochschule Fresenius: Philosophie als Unterstützung in Krisenzeiten

Wirtschaftsethiker Prof. Dr. Hendrik Müller

Ziel des morgigen Welttages der Philosophie ist es, die zentrale Bedeutung des kritischen Denkens und der freien Meinungsäußerung in den Fokus zu rücken. Inwiefern Philosophie zu einem friedlichen und menschenwürdigen Leben beitragen kann, erklärt Wirtschaftsethiker und Studiengangsleiter für die Studiengänge Philosophie, Politik und Wirtschaft (B.A.) und Philosophy and Economics (M.A.), Prof. Dr. Hendrik Müller von der Hochschule Fresenius.

Die bevorstehende Fußball-WM in Qatar, Hungersnöte in Afrika, die Corona-Pandemie, der Klimawandel oder der Krieg in der Ukraine: Aktuell ist die globale Gesellschaft mit zahlreichen Krisen und Herausforderungen konfrontiert. Wie sie konstruktiv gelöst werden können, darüber wird in Politik und Gesellschaft hitzig und kontrovers diskutiert. Doch können Staaten, Unternehmen und Individuen moralisch überhaupt angemessen auf diese Gemengelage reagieren? Bedrohen die Krisenphänomene am Ende das demokratische und freiheitliche Gedankengut? Und welchen Beitrag kann die Philosophie bei der Bewältigung dieser Krisen leisten? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich Wirtschaftsethiker Prof. Dr. Hendrik Müller.

„Wir können zwar feststellen, dass seit einiger Zeit ein gesellschaftliches Umdenken in Politik, der Wirtschaft und beim Einzelnen stattfindet, dass es so nicht weitergehen kann“, erklärt Müller. „Aber um die momentanen Herausforderungen meistern zu können, bedarf es insbesondere in der Politik und Wirtschaft Personen, die das Umdenken weiter vorantreiben, prägen und gestalten. Philosophie kann in diesem Prozess eine Hilfestellung bieten“, so der Wirtschaftsethiker weiter.

Philosophie könne prinzipiell dabei helfen, die eigenen Standpunkte immer wieder kritisch zu hinterfragen und auf diese Weise auch Korrekturen oder zumindest Erweiterungen eigener Meinungen zuzulassen. Dieser Gedanke des permanenten Hinterfragens des eigenen Wissens basiere auf der Philosophie von Sokrates, die er im antiken Athen des 5. Jahrhunderts v. Chr. zu einer Zeit entwickelte, die auch von Krieg und Unsicherheit geprägt war.

Dabei war Sokrates der öffentliche Austausch von Argumenten besonders wichtig. So fragte er seine Gesprächspartner mitten auf dem Markt von Athen nach ihren Überzeugungen, um auf diese Weise mit ihnen zusammen die Wahrheit zu finden. Der antike Philosoph war überzeugt davon, dass diese nur über einen lebendigen Dialog gefunden werden könnte. „Übertragen auf unsere Zeit bedeutet dies, dass wir auch heute Lösungen nur über den lebendigen Dialog finden können“, fasst Müller zusammen. „Die Menschen müssen wieder lernen, offen und umfassend miteinander zu sprechen und sich selbst und den Stand ihrer Gesprächspartner zu reflektieren.“

Diese Kulturtechnik habe in der Corona-Zeit deutliche Brüche bekommen, was die drohende Spaltung der Gesellschaft begünstige. Ein Auseinanderdriften sei in letzter Zeit überall spürbar: „Corona hat uns in Fraktionen von Leugnern und Befürworten getrennt.“ Die selbsternannte „Letzte Generation“ verstöre mit ihren Angriffen auf Kunstwerke und werfe den Älteren ein falsches Wertebewusstsein vor. Selbst die bevorstehende Fußball-WM sei nicht mehr das allseits verbindende Sportereignis, bei dem alle geschlossen mitfiebern. Und doch liege gerade in der öffentlichen Kontroverse auch eine Chance, gemeinsam Lösungen zu finden. Beim Blick über den Tellerrand könnten laut Hendrik Müller jungen Menschen auch Unterrichtsfächer helfen, die philosophisches Wissen mit wirtschaftlichen und politischen Grundlagen vereinen. Dadurch würden sie befähigt, in einer Welt der permanenten Veränderungen, die Auswirkungen, Chancen und Risiken des Wandels für die Gesellschaft, die Politik und die Wirtschaft zu erklären und die Zukunft kritisch mitzugestalten.