Kunstdünger beschert uns reiche Ernten, stört aber den sensiblen Stickstoffhaushalt der Erde. Welche Rolle winzige Organismen dabei spielen und warum es wichtig ist, dass nicht nur die Landwirtschaft, sondern jede/r Einzelne nachhaltiger agiert, erklärt die Mikrobiologin Christa Schleper.
Ein Interview von Markus Steiner von der Wiener Universitätspresse
uni:view: Frau Schleper, als Mikrobiologin beschäftigen Sie sich vor allem mit der Welt winziger Organismen, die nur unter dem Mikroskop sichtbar sind. Welche Bedeutung haben diese kleinen Lebewesen für unser Ökosystem?
Christa Schleper: Es gibt große Stoffkreisläufe auf der Erde. Einer davon, mit dem wir uns im Speziellen beschäftigen, ist der Stickstoffkreislauf. Für die Zirkulation der Stickstoffverbindungen in der Umwelt sind verschiedene Oxidations- und Reduktions-Schritte notwendig. Die meisten dieser wichtigen Schritte werden von Mikroorganismen erledigt. Wenn sie auf der Erde fehlen würden oder ihre Arbeit nicht mehr richtig erledigen könnten, würden unsere gesamten Ökosysteme zusammenbrechen.
uni:view: Bei der Diskussion zum Klimawandel geht es meistens um den Kohlenstoffkreislauf. Warum wird der Stickstoff oft vergessen?
Schleper: Es ist viel schwieriger, das Problem mit dem Stickstoffkreislauf zu vermitteln. Stickstoff ist ja eigentlich etwas Gutes, eine wichtige Grundsubstanz des Lebens. Da fällt es schwer zu verstehen, dass dieses Element sich auch sehr nachteilig auf die Umwelt auswirken kann, wenn es in bestimmten chemischen Formen oder in falschem Ausmaß vorliegt. Während heutzutage jeder weiß, dass die Nutzung fossiler Brennstoffe zur Produktion von CO2 beiträgt, ist kaum jemandem bekannt, dass Lachgas (N2O) ein Treibhausgas mit einer viel stärkeren Wirkung ist. Den wenigsten ist bewusst, wie wichtig der Stickstoffkreislauf für das Leben ist und dass es diesem durch den Eingriff des Menschen sogar schon viel schlechter geht als dem Kohlenstoffhaushalt.
uni:view: Was hat sich denn konkret durch den Menschen verändert?
Schleper: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich die Stickstoffmenge, die terrestrische Ökosysteme über Dünger und aus der Atmosphäre aufnehmen, in etwa verdoppelt. Ein wichtiges Ereignis in diesem Zusammenhang war die Entwicklung des Haber-Bosch-Verfahrens, durch das Ammoniak synthetisch hergestellt werden kann. Erst diese Erfindung hat es dem Menschen ermöglicht, mehr Pflanzen zu düngen und die Lebensmittelproduktion anzukurbeln. Schätzungen besagen, dass ohne Kunstdünger höchstens drei Milliarden Menschen, also weniger als die Hälfte der derzeitigen Erdbevölkerung, ernährt werden könnten.
Durch die Verdopplung der Menge an zirkulierenden Stickstoffverbindungen hat sich aber auch das natürliche Gleichgewicht verschoben – mit gravierenden Folgen für die Umwelt: Die Überdüngung führt zu einem Verlust der Biodiversität, einem erhöhten Ausstoß von Treibhausgasen (Lachgas) sowie einer allgemeinen Senkung der Stabilität der Ökosysteme.
uni:view: Sind wir alle für diese Folgen verantwortlich? Wie müssten wir unser Leben ändern, um das natürliche Gleichgewicht wiederherzustellen?
Schleper: Ja, wir haben alle eine gewisse Mitverantwortung. Denken wir allein an unser Essverhalten: Wenn wir den Fleischkonsum drastisch reduzieren, würde das die Situation schon deutlich verbessern. Wir bräuchten dann wesentlich weniger Dünger: Für ein einziges Kilogramm Fleisch wird je nach Bewirtschaftungsweise bis zu 40 Mal mehr Kunstdünger ausgebracht als für ein Kilogramm pflanzliches Protein. Auch die Weltgesundheitsorganisation rät dazu, weniger Fleisch zu essen – einmal pro Woche reicht vollkommen. Also wäre eine Reduktion nicht nur besser für unsere Umwelt, sondern auch für unsere Gesundheit.
Weiters können wir die Energieverschwendung eindämmen, indem wir beispielsweise mehr regionale und saisonale Lebensmittel zu uns nehmen, die nachhaltig produziert worden sind. Zudem müssten wir generell auf weniger fossile Brennstoffe zurückgreifen, denn die Nutzung dieser Energieträger erzeugt nicht nur CO2, sondern auch Stickoxide, also für die Umwelt nachteilige Stickstoffverbindungen und Treibhausgase.
uni:view: Würde es reichen, wenn die KonsumentInnen zu einem Umdenken bewegt werden könnten? Würde die Industrie dann nachziehen?
Schleper: Ich glaube schon, dass es einen enormen Druck auf die Industrie ausüben würde, wenn die KonsumentInnen vermehrt nachhaltige Produkte kaufen würden. Und es gibt auch Forschungen, die dies bestätigen. Aber ich glaube auch, dass es Top-down-Ansätze braucht, das heißt, dass entsprechende Vorgaben von oben – also von politischer Seite – nötig sind. Dass so etwas durchaus Sinn ergeben kann, hat man etwa bei der Gender-Debatte gesehen. Da gab es plötzlich die Vorgabe, bei der Einstellung neuer MitarbeiterInnen eine gewisse Frauenquote einzuhalten; und auch wenn wir wissenschaftliche Projekte beantragen, müssen wir hierzu Stellung nehmen. Für die Nachhaltigkeit wurde so etwas bislang leider noch nicht implementiert.
uni:view: Müsste man nicht auch an der Quelle des Problems – also der Landwirtschaft – ansetzen? Gibt es umweltfreundlichere Düngemethoden?
Schleper: Es gibt inzwischen verschiedene Ansätze für nachhaltigere Landwirtschaft, zum Beispiel Permakulturen, die auf die Schaffung von dauerhaft funktionierenden und naturnahen Kreisläufen abzielen. In der Forschung wird zudem versucht, neue umweltverträglichere Düngemethoden zu entwickeln. Dabei wird auch untersucht, unter welchen Bedingungen Pflanzen den Stickstoff effizienter aufnehmen können. In den Niederlanden und in Dänemark ist es beispielsweise durch verschiedene Maßnahmen in der Landwirtschaft bereits gelungen, eine enorme Reduktion der Stickstoffbelastungen zu erreichen. Das geht natürlich besser in hochentwickelten Ländern. In ärmeren Staaten, die stark auf Wachstum ausgerichtet sind, ist dies noch nicht so verbreitet. Hier wird es verstärkt darum gehen, das Know-how weiterzugeben.
uni:view: Müssten sich die Nahrungsmittelhersteller nicht auch vom klassischen Profitdenken lösen, damit sich alternative Konzepte durchsetzen können?
Schleper: Es gibt bereits Bewegungen, die in diese Richtung gehen und eine grundlegend andere Ökonomie vorschlagen. Dazu gehört auch, nicht nur ethisch, sondern eben auch nachhaltig zu wirtschaften und zwar in allen Branchen. Ich glaube, dass solche alternativen Konzepte immer mehr an Boden gewinnen werden und dass es langsam eine Veränderung des Bewusstseins in der Gesellschaft gibt.