Um das Ziel der UN-Klimakonferenz, den CO₂-Ausstoß um 2 °C zu reduzieren, in Deutschland erreichen zu können, ist der Ausbau erneuerbarer Energien notwendig. Welche Flächen sind dafür geeignet und welche ökonomischen, ökologischen und sozialen Rahmenbedingungen und Konflikte bringen mögliche Standorte mit sich? Dies erforschen Geographen der Universität Augsburg in einem neuen Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird.
Die Energiepreise steigen bedingt durch den Krieg in der Ukraine rasant. Strom aus fossilen Brennstoffen wie Gas oder Öl wird stetig teurer. Erneuerbare und klimaneutrale Energien aus Solar-, Windkraft- oder Biomasseanlagen können unabhängiger machen und den CO₂-Ausstoß reduzieren. Sie spielen also eine große Rolle beim Ziel der UN-Klimakonferenz von Paris, die globale Erwärmung unter 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu halten.
Der konsequente Umstieg auf erneuerbare Energien scheint deshalb naheliegend. Soll aber ein Windrad vor der eigenen Haustür gebaut werden, startet meist massiver Protest. Anwohnerinnen und Anwohner fühlen sich gestört: die einen sehen Tiere gefährdet, die anderen haben Angst, dass die Landschaft verunstaltet wird und der Tourismus leidet. Wo also den passenden Platz für weitere erneuerbare Energiequellen in Deutschland finden, wenn die verfügbaren Flächen begrenzt sind?
Dieser Frage gehen Forscher des Instituts für Geographie in einem neuen Forschungsprojekt nach. Ausgangspunkt ist der Ausbau erneuerbarer Energien, der notwendig ist, das 2-Grad-Ziel zu erreichen und fossile Energiegewinnung abzulösen. „Wie viel Platz benötigen wir in Deutschland eigentlich für eine CO₂-neutrale Energiegewinnung und wo sind die Orte, an denen das effizient umgesetzt werden kann? Wir stellen genau diese Fragen“, erklärt Prof. Dr. Harald Kunstmann, der sich dem Thema aus naturwissenschaftlicher Perspektive nähert.
Karte mit Standortfaktoren
„Biogas-, Solar-, Wasser- und Windenergie sind abhängig von natürlichen Standortfaktoren. Diese sammeln wir und erstellen ein Modell, wie diese zusammenwirken und bilden sie auf einer Karte ab“, sagt Kunstmann. Damit lässt sich dann für jede Lage in Deutschland bestimmen, wie gut sie für die Gewinnung von erneuerbaren Energien geeignet wäre. Erfasst werden Rahmenbedingungen – Fachleute nennen sie energiemeteorologische Variablen – wie Sonnenscheindauer, Nebelaufkommen, Temperatur, Niederschlagsmenge, durchschnittliche Windgeschwindigkeit übers Jahr, Turbulenzen, tageszeitliche und saisonale Schwankungen, aber auch welche Vegetation und Flächennutzung dort vorliegt. Die Forschenden kombinieren hier Messdaten aus verschiedenen Quellen wie dem Deutschen Wetterdienst, dem Energieatlas Bayern, greifen aber auch auf Material aus ihren bisherigen Forschungsarbeiten zurück.
Letztlich ist die Planung, für jeden Ort in Deutschland mit einer Genauigkeit von ca. einem Quadratkilometer die Ausgangslage für die verschiedenen Arten der CO2-neutralen Energiegewinnung zu bestimmen und Aussagen darüber treffen, wie effektiv der jeweilige Standort wäre. Berücksichtigt wird dabei auch, wie sich die natürlichen Standortfaktoren durch den Klimawandel regional voraussichtlich verändern werden.
Was wäre wenn?
In einem zweiten Schritt wird diese naturwissenschaftliche Analyse verknüpft mit einer sozialwissenschaftlichen Herangehensweise. Der Humangeograph Dr. Stephan Bosch befasst sich damit, welche ökonomischen, ökologischen und sozialen Rahmenbedingungen und auch Konflikte mögliche Standorte bieten.
„Anlagen, die erneuerbare Energie produzieren, stehen nämlich immer in Konkurrenz zu anderen Interessen. Sei es das persönliche Empfinden von Anwohnerinnen und Anwohnern, der Naturschutz, die Nutzung von Flächen für Landwirtschaft oder die für den Tourismus relevante Ästhetik einer Landschaft“, sagt Bosch. „Stellen Sie sich einen Windpark rund um Schloss Neuschwanstein vor, der dort stehen würde, nur weil der Standort eine effektive Energiegewinnung ermöglicht“.
Für bestimmte Regionen modellieren die Forschenden unterschiedliche Szenarien. Grundsätzlich ist es natürlich angebracht, möglichst wenig Flächen mit Anlagen zur CO₂-neutralen Stromerzeugung zu verbrauchen. Welches Konfliktpotenzial ergäbe sich, wenn dafür der Abstand zu Wohngebieten verringert oder Agrarland und sogar Naturschutzgebiete genutzt werden? Sollten Windräder auch in Wäldern stehen?
Stephan Bosch möchte in die Szenarien möglichst viele Aspekte integrieren. Wichtig ist ihm auch die soziale Perspektive. „Wir erheben auch, wie Menschen in der jeweiligen Gegend über die Standortsuche erneuerbarer Energien denken, fragen sie, wo sie selbst Windräder und Solarparks platzieren würden“. Neben Fragebögen, der Auswertung von Zeitungsartikeln und Recherchen kommen ebenfalls Interviews mit Betroffenen vor Ort zum Einsatz – vom Anwohner bis zur Bürgermeisterin. „Wir analysieren auch die geführten Diskurse“, sagt Bosch. Er vermutet, dass es kulturelle Unterschiede bei der Akzeptanz von Windrädern zwischen Nord- und Süddeutschland gibt.