Europaweit sagen noch immer 50 Prozent der Befragten, dass ihr Land die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützen sollte, um sich gegen die russischen Angriffe zu verteidigen. Im März, kurz nach Beginn des Krieges, hatte diese Bereitschaft noch bei 56 Prozent gelegen. In Deutschland allerdings ist die Zustimmung zu Waffenlieferungen im September unter 50 Prozent gesunken (48 Prozent, im März: 57 Prozent). Am niedrigsten ist die Rate in Italien mit 36 Prozent. Auf konstant hohem Niveau bleibt die Zustimmung dagegen beim direkten ukrainischen Nachbarn Polen mit 76 Prozent. Das zeigt die EU-weite Umfrage von eupinions, dem europäischen Meinungsforschungsinstrument der Bertelsmann Stiftung, im September. Die Umfrage ist repräsentativ für die EU insgesamt sowie für die sieben Mitgliedstaaten Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Polen und Spanien. Sie wird in Kooperation mit der belgischen King Baudouin Stiftung veröffentlicht.
Groß war die Sorge, dass die Bereitschaft einbrechen könnte, auch persönliche Einbußen hinzunehmen, um unabhängig zu werden von russischen Energielieferungen. Doch dieser Effekt ist weit weniger stark eingetreten als befürchtet. EU-weit sagt immer noch eine deutliche Mehrheit von 67 Prozent, dass die EU im Energiebereich unabhängiger werden sollte – auch bei steigenden Kosten. Im März hatte diese Zahl noch bei 74 Prozent gelegen. In Deutschland ist der Wert bei dieser Frage mit 62 Prozent am niedrigsten – nicht anders als bei den Befragungen im März und im Juni. Insgesamt misst eupinions für Deutschland seit März einen Rückgang um zehn Prozentpunkte.
Mit 80 Prozent ist in Polen die Bereitschaft am höchsten, persönliche Kosten für die Unabhängigkeit bei der Energie zu schultern. Den stärksten Rückgang verzeichnet Belgien mit einer Differenz von zwölf Prozentpunkte (März: 76 Prozent, September: 64 Prozent). „Diese Entwicklung war angesichts der weiter sehr hohen Inflation und des Beginns der Heizperiode zu erwarten. Sie sollte auch weiterhin beobachtet werden. Denn sie birgt politisches Konfliktpotenzial“, sagt Isabell Hoffmann, Europa-Expertin der Bertelsmann Stiftung und Projektleiterin von eupinions. „Aber das Ende des Sommers bedeutet nicht gleich auch das Ende der Solidarität mit der Ukraine.“
Steigende Lebenshaltungskosten sind die Hauptsorge der Europäer
Wie sehr die Teuerung die Menschen in der EU belastet, zeigt auch die Antwort auf die Frage, was ihnen derzeit am meisten Sorgen macht. 49 Prozent nennen die steigenden Lebenshaltungskosten als Hauptsorge, in Deutschland sind es 51 Prozent. Weniger Bedenken haben in dieser Hinsicht die Spanier. Auf der iberischen Halbinsel sagen nur 39 Prozent, die steigenden Kosten seien ihre Hauptsorge.
Mehr als drei Viertel der befragten Europäer sind weiterhin bereit, ukrainische Flüchtlinge im eigenen Land aufzunehmen. Am größten ist die Offenheit in Spanien – und das durchgehend seit der ersten Befragung im März. 89 Prozent sagen, ihr Land solle Flüchtlinge aufnehmen. EU-weit sind immerhin noch 77 Prozent dieser Meinung. In Deutschland ist die Bereitschaft seit März (86 Prozent) auf 74 Prozent im September zurückgegangen. Schlusslicht ist Frankreich mit 72 Prozent. In beiden Staaten ist die Bereitschaft damit jeweils um zwölf Prozentpunkte gesunken.
Klare Mehrheit für die Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union
Weiterhin gibt es eine deutliche Mehrheit dafür, die Ukraine in die Europäische Union aufzunehmen. Knapp zwei Drittel der Befragten in der EU votieren für diesen Schritt, sechs Prozentpunkte weniger als im März. Am höchsten bleibt die Bereitschaft weiterhin in Polen (82 Prozent), gefolgt von Spanien (78 Prozent). Dagegen ist die Skepsis in Deutschland am höchsten. Hier ist die Mehrheit für einen Beitritt auf nur noch 55 Prozent zusammengeschrumpft (von 61 Prozent im März).
Konstant auf höchstem Niveau sind sich die Europäer einig, dass die EU eine gemeinsame Verteidigungspolitik braucht. Dieser Aussage stimmen fast 90 Prozent der Befragten in der EU zu. Knapp 80 Prozent der Europäer befürworten zudem eine aktivere Rolle der EU auf der Weltbühne. Die Einschätzungen unterscheiden sich in den einzelnen Ländern nur wenig voneinander. „Klassische Verteidigungspolitik steht wieder hoch im Kurs seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine“, sagt Isabell Hoffmann. „Die Europäer:innen erkennen, wie wichtig eine gemeinsame Strategie ist, um Großkrisen zu meistern. Das gilt nicht nur für Finanz-, Wirtschafts- oder Gesundheitskrisen, sondern auch für Sicherheitskrisen.“