In Deutschland und Australien gibt es starke Unterstützung für den Umstieg auf erneuerbare Energien, mit der konkreten Umsetzung allerdings ist die Bevölkerung weniger zufrieden. In einer Studie zeigen Forschende, dass die Akzeptanz maßgeblich von der Einbindung der Bevölkerung in die Umsetzung der Energiewendepolitik abhängt. Die Regierungen beider Staaten verfolgen unterschiedliche Strategien, um die Zustimmung zu konkreten Maßnahmen zu erhöhen.
Ausgehend von der Unterscheidung zwischen Input- und Output-Legitimität untersuchen die Forschenden, wie Bürgerbeteiligung die Legitimität von Politikmaßnahmen verbessern kann. Mit Input-Legitimität bezeichnen sie die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für politische Ziele, während die Output-Legitimität die Unterstützung für die Maßnahmen beschreibt, mit denen das politische Ziel erreicht werden soll. Anhand der Energiewende in Deutschland und Australien erläutern sie, wo und wie die Beteiligung der Bevölkerung die Legitimität politischer Maßnahmen gestärkt hat. Beide Länder haben unterschiedliche Energiewende-Strategien. Ihr Vergleich bietet Einblick in Wege zur Akzeptanzsteigerung von erneuerbaren Energien.
In Deutschland ermöglichten rechtliche Rahmenbedingungen eine breite Bürgerbeteiligung von der Planung bis zur Verwirklichung der Projekte. Das Stromeinspeisungsgesetz von 1991 und das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) von 2000 beschleunigten den Ausbau der Erneuerbaren und ermöglichten die finanzielle Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern. Aber seit einigen Jahren gibt es verstärkt Verzögerungen in Planungsprozessen und statt kommunalen Wind- und Solarparks entstehen Anlagen großer Investoren. Dies führt zu Unmut und dem Gefühl einer ungerechten Verteilung von Kosten und Vorteilen.
Bürgerenergie in Deutschland braucht mehr Unterstützung
„Tatsächlich war Deutschland in der frühen Phase der Energiewende besonders erfolgreich bei der Schaffung öffentlicher Unterstützung durch zwei Mechanismen: die bürgerschaftliche Einbindung in die Entscheidungsprozesse und die Beteiligung am wirtschaftlichen Nutzen der Anlagen. Bürgerwind- oder Solarparks schaffen Win-win-Situationen für die Menschen vor Ort, da zum Beispiel das Kapital in der Region verbleibt und in soziale Projekte reinvestiert werden kann. Wichtig ist auch die Entstehung neuer Arbeitsplätze. Dadurch wird sowohl die Input-Legitimität als auch die Output-Legitimität gestärkt“, sagt Erstautorin Franziska Mey (IASS).
Derzeit gefährde Deutschland seine Errungenschaften, da Bürgerenergiegesellschaften gegenüber Großprojekten häufig das Nachsehen haben. Die Investoren bänden die lokale Bevölkerung oft nicht hinreichend ein, was zu Konflikten führe. Das Clean Energy Package der EU und Initiativen der Ampel-Koalition zeigten aber zumindest ein gesteigertes Bewusstsein für die Bedeutung bürgerschaftlicher Beteiligung.
Australien setzt auf Dezentralisierung des Stromnetzes
In Australien hat die Energiewende erst in den vergangenen 15 Jahren Fahrt aufgenommen. Lange setzte das Land auf heimische Braun- und Steinkohle. Erst als die Kosten von Wind- und Solarprojekten sanken, fand ein Umdenken statt. Zudem erreichen viele der Kohlekraftwerke das Ende ihrer technisch möglichen Nutzungsdauer. Im Unterschied zu Deutschland wurden in Australien vor allem groß angelegte Wind- und Solarparks gefördert. Darüber hinaus nutzen Eigenheimbesitzerinnen und -besitzer die Vorteile von Dachsolaranlagen, welche 2009 and 2010 eine großzügige, allerdings zeitlich begrenzte Förderung erhielten. Die Dachsolaranlagen leisten heute einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion der Stromrechnung und amortisieren sich innerhalb von wenigen Jahren. Mehr als drei Millionen Haushalte – das sind rund ein Drittel aller australischen Haushalte – haben bereits Solarmodule installiert.
Die mangelnde Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in die australischen Energiewende hat zu wachsendem Widerstand geführt. Mittlerweile haben sowohl die Bundesstaaten als auch die neue australische Bundesregierung – seit Mai 2022 regiert die Labor Party – die Bedeutung und das Potenzial von Bürgerenergieprojekten erkannt. „Diese spielen nicht nur für die Akzeptanzsteigerung eine Rolle, sondern werden auch als wesentliche Eckpfeiler für die Dezentralisierung des Stromnetzes angesehen“, sagt Franziska Mey. „
Zunehmende Extremwetterereignisse im Zuge des Klimawandels machen den Ausbau der lokalen und regionalen Infrastruktur besonders für die ländliche Bevölkerung unabdingbar. Beispiele hierfür sind die Unterstützung von dezentralen Netzen, von Nachbarschaftsbatterien, die überschüssigen Solarstrom speichern und an Elektroautos abgeben, und von Solaranlagen in Mehrfamilienhäusern und Gemeinschaftsunterkünften. Die erfolgreiche Umsetzung kann eine paritätischere Beteiligung der Gemeinschaft an der Energiewende unterstützen und dadurch ihre Legitimität erhöhen.“ Solche Projekte böten großes Potenzial, die Kluft zwischen industrialisierten Großprojekten und individuellen Entwicklungen zu überbrücken und die Energiewende in Australien zur Gemeinschaftsaufgabe werden zu lassen.
Der politische Druck für ein höheres Tempo bei der Energiewende ist in beiden Ländern derzeit hoch. Die Forschenden warnen jedoch davor, die Bürgerbeteiligung zugunsten der Geschwindigkeit zu vernachlässigen. Für einen dauerhaften Erfolg der Energiewende sei eine gerechte Teilhabe in allen Stadien des Erneuerbaren-Ausbaus unabdingbar.