Intensive Landwirtschaft bewirkt einen evolutionären Wandel nicht nur auf dem Acker, sondern auch bei Wildpflanzen abseits der bewirtschafteten Felder. Eine in der Fachzeitschrift Science veröffentlichte Studie zeigt, wie der Aufstieg der modernen Landwirtschaft in Nordamerika den Raufrucht-Wasserhanf in ein landwirtschaftlich problematisches Unkraut verwandelt hat. Das internationale Forschungsteam entdeckte seit der Intensivierung der Landwirtschaft in mehreren hundert Genen Mutationen, die in besserer Toleranz gegenüber Trockenheit, Herbizidresistenz und schnellerem Wachstum resultieren.
Forschende der University of British Columbia, der University of Toronto und des Max-Planck-Instituts für Biologie Tübingen haben 187 Wasserhanf-Proben von modernen Farmen und benachbarten Feuchtgebieten mit mehr als 100 bis ins Jahr 1820 zurückreichenden Herbarien-Proben verglichen. Ähnlich wie die Sequenzierung von prähistorischen Menschen-Knochen und Neandertalern wichtige Rätsel der Menschheitsgeschichte gelöst hatte, ermöglichte die Untersuchung des pflanzlichen Erbguts den Forschenden, die Evolution in Abhängigkeit des Lebensraumes über zwei Jahrhunderte hinweg zu beobachten.
So konnten die Wissenschaftler unter anderem die Verbreitung einer unkrautartigen Sorte des Raufrucht-Wasserhanfs vom Westen in den Osten Nordamerikas dokumentieren. Die Pflanze tauschte dabei Teile des Erbguts mit verschiedenen lokalen Populationen aus; dadurch konnte sich der Raufrucht-Wasserhanf besser an die jeweilige landwirtschaftliche Umgebung anpassen. Das Forschungsteam entdeckte in der Pflanze Mutationen in mehreren hundert Genen. Besonders häufig kamen dabei Mutationen in Genen vor, welche mit Toleranz gegen Trockenheit, schnellem Wachstum und Herbizidresitenz zusammenhängen.
„Die Häufigkeit von an die moderne Landwirtschaft angepassten Genvarianten ist seit der Intensivierung der Landwirtschaft in den 1960er Jahren bemerkenswert schnell angestiegen“, erklärt Erstautorin Julia Kreiner von der University of British Columbia in Kanada. Co-Autor Stephen Wright von der University of Toronto und Co-Autor der Studie kommentiert: „Diese Ergebnisse unterstreichen, welches Potenzial die Untersuchung historischer Genome hat, um die Anpassung von Pflanzen auf verschiedenen Zeitskalen zu verstehen.“
Der Raufrucht-Wasserhanf ist in Nordamerika heimisch und war nicht immer ein schädliches Unkraut für die Landwirtschaft. In den letzten Jahren ist die Pflanze aufgrund genetischer Anpassungen wie beispielsweise Herbizidresistenzen auf landwirtschaftlichen Flächen kaum noch auszurotten.
„Der Wasserhanf hat sich im Grunde dadurch mehr zu einem Unkraut entwickelt, dass er durch landwirtschaftliche Maßnahmen großem Selektionsdruck ausgesetzt war“, fügt Co-Autorin Sarah Otto von der University of British Columbia hinzu.
So waren fünf von sieben Herbizidresistenz-Genen aus neueren Proben in den historischen Exemplaren nicht vorhanden; und Pflanzen, die eine dieser sieben Herbizidresistenz-Mutationen aufwiesen, produzierten seit 1960 im Durchschnitt fast 20% mehr überlebende Nachkommen pro Jahr.
„Diese Studie wurde zwar mit nordamerikanischen Proben durchgeführt, aber wir haben in Europa ähnliche Probleme mit Herbizidresistenzen. Unsere Studie kann daher als Blaupause dienen, um auch in Europa die Umwandlung von harmlosen Wildpflanzen in problematisches Unkraut besser zu verstehen,“ berichtet Co-Autor Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen.
Die Studienergebnisse könnten auch in Erhaltungsmaßnahmen natürlicher Gebiete in Agrarlandschaften einfließen. „Solche Schutzgebiete sind zwar wichtig, aber es muss auch Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass diese natürlichen Populationen ohne die umgebende Landwirtschaft genetisch anders ausgestattet wären“, erklärt Detlef Weigel.