„Insektensterben“ war auch in diesem Jahr wieder ein dominantes Thema in Schlagzeilen und Diskussionen. Das große Interesse an diesen Tieren rührt daher, dass sie für das Ökosystem von enormer Bedeutung sind. Ein Forschungsteam der Universität Trier hat nun festgestellt, dass die Anzahl von Insektenarten über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren in Wäldern nicht markant abnimmt. Die Ergebnisse der Trierer Biogeographen basieren auf einer ungewöhnlichen Datenquelle. Sie analysieren DNA-Proben aus Blättern von Bäumen, die über mehrere Jahrzehnte gesammelt und archiviert wurden.
Allerdings weisen die Untersuchungen eine andere Auswirkung auf die Vielfalt von Insektengemeinschaften nach: eine allmählich erfolgende Homogenisierung durch die stärkere räumliche und zeitliche Verbreitung von wenigen Insektenarten. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Wandel der biologischen Vielfalt in Insektengemeinschaften komplex ist und mehr beinhaltet als einen bloßen Verlust von Insektenarten“, fasst der Leiter des Forschungsprojekts, Prof. Dr. Henrik Krehenwinkel, die Erkenntnisse zusammen.
Bislang durchgeführte Studien zum Insektensterben konzentrieren sich häufig auf begrenzte Standorte, beobachten Veränderungen über kurze Zeiträume, beschränken sich in der Regel auf die Ermittlung von Daten zum Verlust der Anzahl oder der Häufigkeit von Arten und arbeiten meist mit gefangenen Tieren. Die von den Trierer Biogeographen durchgeführten Untersuchungen heben sich insbesondere durch zwei Aspekte ab – den langen Untersuchungszeitraum und Blätter als Datenquelle.
Durch die Beteiligung der Universität Trier an der Umweltprobenbank des Bundes stehen dem Trierer Forschungsteam Proben zur Verfügung, die über mehrere Jahrzehnte hinweg kontinuierlich nach streng standardisierten Verfahren bundesweit entnommen und fachgerecht konserviert wurden. Für ihre Studie zu Veränderungen der Vielfalt bei Insektenarten analysieren sie Proben aus dem Blattmaterial von vier Baumarten an 24 Standorten in ganz Deutschland, das einen Zeitraum von über 30 Jahren abbildet. Die Standorte repräsentieren vier Landnutzungstypen: städtische Parks, landwirtschaftliche Flächen, Wälder und Nationalparks.
Den Blättern, die ursprünglich zur Messung von Luftschadstoffen in der Umwelt dienten, entnehmen die Forschenden in einem spezialisierten Verfahren sogenannte Umwelt-DNA (eDNA), die zum Beispiel durch Kauspuren von Insekten zurückbleiben. Mit der angereicherten und sequenzierten eDNA (environmental DNA) lassen sich mehrere Tausend Insektenarten nachweisen, die mit den Blättern in Kontakt gekommen sind.
Die Daten ergeben, dass zahlenmäßig rückläufige Insektenarten stetig und über lange Zeiträume durch neue Arten ersetzt werden und somit kein markanter Verlust in der Artenzahl auftritt. Viele der sich neu ansiedelnden Insektenarten haben jedoch einen hohen Verbreitungsdrang. Dies führt zu einer räumlichen Homogenisierung, indem diese Arten in immer mehr Gebieten dominieren und somit die Zahl weit verbreiteter Insektenarten rückläufig ist. „Diese Effekte sind unabhängig von der Landnutzungsart und für alle Insektenordnungen zu beobachten“, stellt Sven Weber fest, Doktorand und Co-Autor der Studie.
„Unsere Arbeit zeigt, dass standardisierte Zeitreihendaten benötigt werden, um Muster und Triebkräfte des Wandels der biologischen Vielfalt in Insektengemeinschaften zu verstehen. Sie unterstreicht den immensen Wert bestehender Umweltarchive, deren volles Potenzial mit neuartigen Ansätzen zur Bereitstellung dieser kritischen Zeitreihendaten erschlossen werden kann“, plädiert Henrik Krehenwinkel für eine Intensivierung dieser Forschungsrichtung.