Osteuropaforscher Thomas Bremer zur Zukunft der Orthodoxie und zur Religionsvielfalt in der Ukraine – „Orthodoxe Kirchen fallen als Friedenstifter aus – Einigung nicht in Sicht“ – Am Dienstag Vortrag im Themenjahr „Religiöse Dynamiken“ des Exzellenzclusters in Münster: Der Ukraine-Krieg hat die religiösen Konflikte in der Ukraine Forschern zufolge sehr verschärft. „Umfragen zeigen, dass viele orthodoxe Gläubige sich nicht mit einer der Kirchen im Land, die bereits im Konflikt standen, identifizieren wollen, sondern sich ‚einfach orthodox‘ nennen“, sagt der katholische Theologe, Ostkirchenkundler und Friedensforscher Prof. Dr. Thomas Bremer. „Zwar hat sich die Kirche, die zuvor zur russischen Kirche gehörte, für unabhängig erklärt.
Sie steht aber bei vielen Menschen im Verdacht, pro-russisch zu sein, und muss sich in der Gesellschaft neu positionieren. Als Friedensstifterin fallen beide Kirchen aus.“ Die Kriegsfolgen reichten weit über die Ukraine hinaus. „Mit antiwestlicher Rhetorik rechtfertigt Patriarch Kirill, Oberhaupt der russischen Kirche, den Krieg. Dadurch werden auch die Beziehungen zu anderen Kirchen in der Welt stark beeinträchtigt.“
Nächsten Dienstag spricht Thomas Bremer im Themenjahr „Religiöse Dynamiken“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster über „Religiöse Dynamiken in der Ukraine“. Er wird dabei nicht nur die komplexe religiöse Lage im Land darstellen, sondern auch zeigen, wie der Krieg die Polarisierung der Orthodoxie verstärkt hat. „Es ist nicht zu erwarten, dass die beiden orthodoxen Kirchen, die jetzt in Konkurrenz zueinanderstehen, bald zu einer Einigung gelangen werden.“ Die Einführung zum Vortrag hält die Osteuropa-Historikerin Prof. Dr. Ricarda Vulpius vom Exzellenzcluster. Interessierte sind zu Vortrag und Diskussion eingeladen. Die Veranstaltung am 17. Januar findet von 18.15–19.45 Uhr im Hörsaalgebäude des Exzellenzclusters, Raum JO 1, Johannisstraße 4 in Münster statt. Für Teilnahme via Zoom wird um Anmeldung per E-Mail an veranstaltungenEXC@uni-muenster.de gebeten.
„Die Orthodoxie als größte Religionsgemeinschaft der Ukraine war und ist gespalten,“ führt der emeritierte Professor für Ökumenik, Ostkirchenkunde und Friedensforschung der Uni Münster aus. Ein Teil gehörte zur russischen Kirche, ein anderer wollte keine Verbindung zu Moskau haben. „Bereits 2018 hat der Versuch des Patriarchen von Konstantinopel, des Oberhaupts der Orthodoxie, das Dilemma zu lösen, die orthodoxe Kirche weltweit in einen bis heute ungelösten Konflikt gestürzt.“ Da die russische Orthodoxie nach wie vor die Jurisdiktion über die ukrainischen Orthodoxen beansprucht, sei ihre Position in die Betrachtung einzubeziehen.
Im Vortrag will Thomas Bremer die Position der Russischen Orthodoxen Kirche während des Krieges und den innerukrainischen Kirchenstreit analysieren sowie zu erwartende religiöse und politische Konsequenzen skizzieren. „Schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine war das Land von großer religiöser Vielfalt geprägt.“ Neben der Mehrheit der Orthodoxen bilden katholische, protestantische, muslimische und jüdische Gläubige die wichtigsten Glaubensgemeinschaften. „Der Krieg wurde zu einem weiteren Dynamisierungsfaktor in der religiösen Landschaft.“