Klima-, Biodiversitäts- und Ernährungskrise erfordern eine Vielzahl von Lösungsansätzen. Dazu gehört, die Landwirtschaft umweltfreundlicher und widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu machen. Neue Züchtungstechniken wie CRISPR/Cas und andere Techniken der sogenannten Genomeditierung bieten hierfür ein besonders großes Potenzial.
Mit dem Ziel, eine nachhaltigere Nahrungsmittelproduktion zu erreichen, den Green Deal und die Farm-to-Fork-Strategie der EU umzusetzen und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu verwirklichen, überarbeitet die EU-Kommission derzeit Teile des europäischen Gentechnikrechts mit Bezug zu neuen molekularbiologischen Züchtungstechniken und daraus resultierenden Pflanzen und Produkten. Mitte des Jahres 2023 soll ein neuer Gesetzentwurf vorliegen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina appellieren vor diesem Hintergrund an die Politik, bei der Gesetzesreform wissensbasierte Entscheidungen zu treffen.
„Eine nachhaltige Landwirtschaft bedarf insbesondere in Zeiten des Klimawandels der Anwendung eines breiten Methodenspektrums“, sagt Professor (ETHZ) Dr. Gerald Haug, Präsident der Leopoldina. „Die Züchtungsforschung hat mit der Genomeditierung ein sehr präzises Instrument zur Verfügung, welches nicht pauschal bewertet werden sollte. Potenziale und Risiken neuer Pflanzensorten sollten produktbasiert eingeschätzt werden.“
DFG-Präsidentin Professorin Dr. Katja Becker: „Neue molekulare Züchtungstechniken erlauben eine bisher nie dagewesene Präzision und Effizienz in der Verbesserung von Nutzpflanzen. Dieses Potenzial sollte zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele ausgeschöpft werden. Forschung und Anwendung in Europa können daher nur durch eine neue evidenzbasierte europäische Regelungspraxis gelingen, die den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte auch in Bezug auf Chancen und Risiken Rechnung trägt.“
Die Frage, wie künftig neue Züchtungstechniken von Pflanzen in der Europäischen Union rechtlich reguliert werden, wird aktuell auch bei der „Internationalen Grünen Woche Berlin“ ab dem 20. Januar diskutiert und ist Thema des Treffens der Agrarministerinnen und -minister beim „Global Forum for Food and Agriculture 2023“ in Berlin am 21. Januar. DFG und Leopoldina verweisen daher auf die von ihren Gremien veröffentlichten Publikationen zur Thematik: die gerade publizierte Positionierung sowie eine Stellungnahme von 2019, die weiterhin uneingeschränkte Gültigkeit besitzt und ein Angebot der wissenschaftlichen Politikberatung ist.
Bereits im Jahr 2019 hatten die Leopoldina, die DFG sowie die Union der Akademien der Wissenschaften die Stellungnahme „Wege zu einer wissenschaftlich begründeten, differenzierten Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU“ veröffentlicht. Ein wesentlicher Anlass dafür war das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Juli 2018, nach dem alle Organismen, die durch Verfahren der Genomeditierung verändert wurden, unter die rechtlichen Regelungen für „genetisch veränderte Organismen“ fallen.
In der Stellungnahme verwiesen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darauf, dass Produkte der neuen Züchtungstechniken – soweit sie ohne das dauerhafte Einbringen fremden Genmaterials auskommen und sich auf das Hervorrufen von Mutationen beschränken – nicht unterscheidbar von Produkten der herkömmlichen Züchtung sind. Die Genomeditierung von Pflanzen bedeute somit kein höheres Risiko als seit Jahrzehnten etablierte und nicht regulierte Techniken.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Reform der Regulierungspraxis neuer Züchtungstechniken hat die Ständige Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung der DFG nun eine Positionierung mit dem Titel „Für eine zeitgemäße Regulierung der Produkte neuer Züchtungstechniken als Beitrag zur Bewältigung multipler Krisen des 21. Jahrhunderts“ veröffentlicht. Diese fasst die zentralen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Forderungen der Stellungnahme aktualisiert zusammen: So solle eine Novelle des europäischen Gentechnikrechts sicherstellen, dass eine Sicherheitsbewertung neuer Pflanzen grundsätzlich nicht von der zugrunde liegenden Technologie abhinge, sondern von den Eigenschaften des erzeugten Produkts (product-based, case-by-case).
Diese Empfehlungen ließen die Frage nach einer Kennzeichnung von Produkten, die mittels neuer Züchtungstechniken erzeugt werden, unberührt, so die Positionierung. Die Sicherung der Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher sei ein wichtiges Anliegen, dem auch dann Rechnung getragen werden könne, wenn aus Genomeditierung hervorgegangene Produkte keiner gentechnikrechtlichen Risikoregulierung mehr unterlägen.
Die bisherige restriktive Regulierung der Produkte der Genomeditierungstechniken führe zu massiven Behinderungen für den Forschungsstandort Europa und insbesondere Deutschland, so die Positionierung weiter. Sie verzögere überdies die Entwicklung dringend benötigter neuer Technologien zur Sicherung der Welternährung. Freilandexperimente würden daher ins außereuropäische Ausland verlagert, und die Nutzung der Techniken durch Züchtungsunternehmen fast unmöglich gemacht. Dies habe eine stark abschreckende Wirkung auf Unternehmen, aber auch auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in frühen Karrierephasen, die teils ins außereuropäische Ausland abwanderten oder sich für Karrieren außerhalb der Wissenschaft entschieden.