Die Universität Siegen ist am europäischen Forschungsprojekt „CultureNature Literacy“ zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) beteiligt. Es geht darum, wie Lesen die Verantwortung des Menschen für die Natur prägen kann.
Kinder, die heute geboren werden, werden von Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet, die jetzt studieren. Sie erwartet eine Welt voller Unwägbarkeiten: Pandemien, verändertes Klima, Ressourcenknappheit, Artensterben. Was und wie müssen Kinder also lernen, um die Welt für sich und folgende Generationen lebenswert zu erhalten? Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) steht ganz oben auf der Agenda der schulischen Schlüsselkompetenzen für die Zukunft. Gemeint ist eine Bildung, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt und ermöglicht, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen.
Soweit das Leitbild. Was das für einen werteorientierten Unterricht bedeutet, ist Gegenstand des von der EU geförderten Forschungsprojekts „CultureNature Literacy“. Beteiligt sind die Germanistinnen Prof. Dr. Berbeli Wanning und Dr. Jana Mikota von der Universität Siegen. Insgesamt neun europäische Projektpartner aus Österreich, Deutschland, Estland, Slowenien und Ungarn – Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen – arbeiten an dem innovativen Bildungskonzept, das unter dem Stichwort „Anthropozänkompetenz“ steht.
„Das Anthropozän ist das Zeitalter, etwa ab der Industrialisierung, in dem der Mensch die Umwelt entscheidend verändert hat und weiter verändert“, erläutert Berbeli Wanning. „Die Folgen spüren wir schon jetzt und sie werden sich weiter verschärfen. Nachhaltigkeit wird zum Dreh- und Angelpunkt.“
Die Konsequenz für Schule und Unterricht bedeute aber nicht die Einführung eines neuen Fachs oder zusätzliche Schwerpunktthemen in den naturwissenschaftlichen Fächern. „Es gilt einen werteorientierten Unterricht zu entwickeln. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist ein übergreifender Bildungsansatz für Lehr- und Lernmethoden“, betont Jana Mikota. Die Projektpartner erarbeiten dazu einen Leitfaden und Next-Practice-Beispiele für Schule und Hochschule.
Die beiden Forscherinnen der Uni Siegen sind insbesondere an der Frage interessiert, wie Lesen Natur und Kultur konstruiert. „Kinder haben ein großes Interesse an Tieren und Pflanzen und sie haben die Fähigkeit und die Phantasie, sich stark mit Figuren und Geschichten zu identifizieren“, so Berbeli Wanning. Literarisches und nachhaltiges Lernen gehen also gut zusammen. Lesen verändert. „Und wir übernehmen viel Empathie durch Bücher“, erklärt Jana Mikota.
Bücher im Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung unterstützen den Erwerb von Zukunftskompetenz durch „futures literacy“. Gemeint sind keine Zukunftserzählungen im Sinne von Science Fiction, sondern Bücher oder andere Medien, die Zukünfte entwerfen und Möglichkeiten durchdenken. „Kinder sollen die Grundkompetenz erlangen, stets daran zu denken, welche Wirkung eine Handlung für die Zukunft hat und welche Verantwortung der Mensch für die Natur hat“, so Wanning.
Heißt das, Schluss mit Bullerbü und einer heilen Lesewelt für die Kleinsten?
Wanning und Mikota schütteln heftig den Kopf. „Nein, es geht weder um einen ständig erhobenen Zeigefinger, noch darum, den Kindern nun die Weltrettung aufzubürden“, versichern die Wissenschaftlerinnen. „Im Gegenteil“, erklärt Jana Mikota. „Es geht ums Mut machen.“ Der Blick richte sich darauf, Chancen aufzuzeigen, eine Zukunft zu gestalten.
Im Rahmen des dreijährigen Projekts soll ein Aktionsplan als Fundament entstehen, um Bildung für nachhaltige Entwicklung im Unterricht zu verstetigen. Die Studierenden, so der der Eindruck von Berbeli Wanning und Jana Mikota, sind hochmotiviert und interessiert an dem Thema. „Sie wissen, dass sie mehrere Schülergenerationen in und durch eine sich vielfältig veränderte Zukunft begleiten werden und dass sie deshalb selbst Kompetenzen brauchen, um die Werte kultureller Nachhaltigkeit in der Schule zu vermitteln.“