Ukrainekrieg: Wie Sprache den Diskurs prägt

Ukrainische Flagge Pixabay/jorono 1037 Bilder

Seit dem völkerrechtswidrigen Angriff und Einmarsch Russlands in der Ukraine im Februar 2022 dominiert der Krieg auch die bundesdeutschen Debatten und schlägt sich im politischen und medialen Sprachgebrauch nieder. Die an der Universität Siegen vom Sozio- und Diskurslinguisten Prof. Dr. Friedemann Vogel , koordinierte Forschungsgruppe „Diskursmonitor und Diskursintervention“ sammelt Schlagwörter und Sprachbilder, die diesen Diskurs prägen und in der aktuellen Auseinandersetzung eine besondere Rolle einnehmen. Dass dies zum unmittelbaren Zeitpunkt des Kriegsgeschehens nicht ganz einfach ist, erklärt Vogel: „Als der Ukrainekrieg ausbrach, waren wir natürlich auch von den Ereignissen erschlagen und es fällt zunächst schwer, wissenschaftliche Distanz zum Gegenstand zu wahren. Ebenso schwer ist es auch, in einer solchen Situation auseinanderzuhalten, welche Informationen beispielsweise Propaganda sind und welche faktenbasierte Kommunikation.“

Aus diesem Grund fingen die Sprachwissenschaftler an, zu beobachten wie sich der Diskurs bezüglich des Krieges entwickelte und bis heute entwickelt und trugen ihre Eindrücke und punktuelle Textanalysen in einem Glossar zusammen. Bei dem Projekt gehe es in keiner Weise darum, politisch Stellung zu beziehen, was auch nicht die Aufgabe von Wissenschaft sei, betont Vogel: „Wenn man Kriegsdiskurse zum Gegenstand der Untersuchung macht, gerät man schnell in den Zwang, Stellung beziehen zu müssen. Es geht uns jedoch nicht um eine inhaltliche Bewertung der jeweils aufgerufenen Deutungsmuster oder um eine politische Positionierung.

Das Glossar ist vielmehr einerseits ein Versuch der Selbstorientierung, und andererseits soll es dafür sensibilisieren, auch über den Sprachgebrauch im Krieg nachzudenken.“ Beispiele aus dem Glossar für in der aktuellen politischen Kommunikation verwendete Begriffe im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine sind etwa:

Entnazifizierung: „In den ersten Kriegswochen nutzte die russische Führung das Schlagwort der Entnazifizierung als Argumentationstopos zur Legitimierung des militärischen Angriffs auf die Ukraine. Inzwischen ist der offizielle Gebrauch dieses Schlagworts stark zurückgegangen.“

Sofapazifisten / Unterwerfungspazifisten / Lumpenpazifisten: „Dieser Stigmaausdruck (Feindbegriff) wird zur Diskreditierung von Diskursakteuren als »weltfremd« und »verantwortungslos« bis »ängstlich« genutzt, wenn sie für diplomatische Lösungen und Verhandlungen mit Russland plädieren.“

Defensivwaffen: „Hier handelt es sich um ein euphemistisches Schlagwort in der Debatte darüber, ob Deutschland die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützen soll. Durch den Ausdruck wird der Aspekt der (moralisch legitimen) Selbstverteidigung akzentuiert. Er trägt zu einer vereindeutigenden Angreifer-Verteidiger-Schematisierung bei. Außerdem suggeriert die Unterscheidung verschiedener Waffentypen, die Lieferung von Defensivwaffen sei eine weniger gravierende Einmischung in das Kriegsgeschehen und moralisch leichter zu rechtfertigen als die Lieferung von Offensivwaffen oder sogenannten schweren Waffen. Der Ausdruck wurde musterhaft gebraucht, um öffentliche Zustimmung für Waffenlieferungen von Deutschland an die Ukraine zu gewinnen und gleichzeitig die Rolle Deutschlands als indirekte Konfliktpartei zu relativieren.“

Putinversteher: „Dieser Stigma- bzw. Kontaminationsausdruck soll Diskursakteure diskreditieren und richtet sich mit weitem Wirkungsbereich gegen Positionen, die zum Beispiel für einen Interessensausgleich mit Russland plädieren und/oder auf andere, den »russischen Angriff relativierende« Mitursachen (z.B. Nato-Osterweiterung) verweisen.“

Kriegstreiber: „Stigmaausdruck (Feindbegriff) zur Diskreditierung von Diskursakteuren, die sich für die militärische Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland einsetzen.“

Zeitenwende: „Mit dem Ausdruck sollen politische Entscheidungen – wie etwa massiv steigende Wehretats – als unvermeidliche Folgen einer sich veränderten Welt gedeutet und somit gegen Kritik immunisiert werden. Widerspruch sowie alternative Forderungen werden dadurch diskursiv erschwert bzw. als »nicht mehr zu der veränderten Welt passend« delegitimiert.“

Die Verwendung solcher Begriffe ist Teil der strategischen Kommunikation im Ringen um Deutungshoheit im Diskurs zu bestimmten Themen, hier im Kriegsdiskurs, erläutert Vogel: „Es geht schließlich um Leben und Tod und um immense materielle Ressourcen in unterschiedlichen Ländern, deren Bereitstellung in der Öffentlichkeit legitimiert bzw. in Frage gestellt werden soll.“

Der Diskursmonitor ist ein disziplinenübergreifendes, webbasiertes Informations- und Dokumentationsportal zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Er wird gemeinschaftlich von der gleichnamigen Forschungsgruppe dezentral organisiert und herausgegeben. Das Portal richtet sich nicht nur an die Fachcommunity der Diskursforschung sowie verwandter Fachbereiche, sondern vor allem auch an Praktikern aus Politik, Medien, Bildung, Justiz und Zivilgesellschaft. Neben Mitteilungen zu aktuellen Diskursbeobachtungen veröffentlicht der Diskursmonitor auch ein umfassendes Fachglossar, in dem kommunikative strategische Techniken für fachliche Laien erläutert und illustriert werden.

Weitere Informationen unter: www.diskursmonitor.de