Überblick über das Potential von Rifträndern für eine Energiewende

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Welche Rolle könnten Riftränder beim Übergang zu einer kohlenstoffneutralen Wirtschaft spielen? Darum geht es in einem neuen Überblicksartikel, den die Fachzeitschrift Nature Reviews Earth & Environment jetzt veröffentlicht hat. Darin fassen Prof. Marta Pérez-Gussinyé vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen und Kolleg:innen den aktuellen Wissensstand über das so genannte Rifting von Kontinenten zusammen. Als Rifting bezeichnen Forschende den Prozess, bei dem die Kontinentalplatten auseinanderbrechen und neue Ozeane entstehen.

Pangäa nannte Alfred Wegener den Superkontinent, der vor 250 Millionen Jahren auf der Erde existierte. Im Laufe der Zeit ist dieser Superkontinent in verschiedene Stücke zerbrochen und wurde zu den Landmassen, wie wir sie heute auf dem Globus sehen. Durch die Dehnungskräfte auf die tektonischen Platten brechen die Kontinente auseinander – wie einst Pangäa – und es entstehen neue Ozeanbecken. Große Teile dieser gedehnten Kontinente sind nicht sichtbar, weil sie unter Wasser liegen, sie werden Riftränder genannt.

Kontinentalränder bergen riesige Ansammlungen der weltweit verteilten Sediment-, Eruptiv- und ultramafischen Gesteinen in sich und grenzen aufgrund ihrer geografischen Lage an große Küstenbevölkerungen. Bis vor einigen Jahrzehnten wurden solche Kontinentalränder in magmareich und magmaarm unterschieden.

Diese Einteilung folgte der Entstehungsgeschichte von neuem Ozeanboden – scheint aber nicht die gesamte Bandbreite der Bildung von Rifträndern zu umfassen. „Diese sogenannten Riftränder befinden sich an den Küsten auf beiden Seiten der Ozeane und enthalten riesige Sedimentansammlungen, Kohlenstoffreserven und sind ein potenzielle Standort für neue Ressourcen, die für die neue kohlenstoffneutrale Wirtschaft benötigt werden“, erklärt Marta Pérez-Gussinyé.

Die Gra­fik zeigt, wie Mar­ta Pé­rez-Gus­s­i­nyé und ihre Kol­leg:in­nen Da­ten und Si­mu­la­ti­on mit­ein­an­der ab­glei­chen. Idea­ler­wei­se sind bei­de Kur­ven – oben die seis­mi­schen Mes­sun­gen, un­ten das be­rech­ne­te Mo­dell – na­he­zu iden­tisch. Gra­fik: Nat Rev Earth En­vi­ron (2023)

Inzwischen wurden weitere Typen identifiziert, die laut Marta Pérez-Gussinyé und ihren Kollegen zu einer großen Vielfalt von so genannten Kontinentalrandarchitekturen führt. Sie basieren auf unterschiedlichen Prozessen magmatischer, tektonischer, sedimentärer oder hydrothermaler Natur. „Der Ursprung von Rifträndern ist vielschichtig, das heißt, sie sind auf unterschiedliche Weise entstanden. Im Gegensatz zu früheren Ansätzen gibt uns dieser Überblick die Möglichkeit, Riftränder ganzheitlich zu analysieren“, erklärt Erstautorin Pérez-Gussinyé.

Ihre Arbeitsgruppe hat Pionierarbeit bei der Entwicklung von numerischen Werkzeugen zur Untersuchung von Rifträndern geleistet. Diese Werkzeuge ermöglichen es, Daten und Modelle zu kombinieren, um die Prozesse zu verstehen, die die Ränder bilden. Die Autoren haben jetzt die neuesten Beobachtungen und theoretischen Ergebnisse zusammengetragen, die zu einem prozessbasierten Verständnis der Riftränderbildung führen sollen.

„Dies wird der Schlüssel sein, um in Zukunft genaue Vorhersagen für die neuen Speicher- und Energieanforderungen zu treffen, der für den Übergang zu einer kohlenstoffneutralen Wirtschaft erforderlich ist“, betont Pérez-Gussinyé.

Gemeinsam mit ihren Ko-Autoren kommt sie zu dem Schluss, dass Riftränder künftig eine zentrale Rolle für eine grüne Wirtschaft spielen könnten, als potenzielle Lagerstätten für Kohlendioxid, als Mineralvorkommen oder sogar als Quellen für geothermische Energie und natürlichen Wasserstoff. Zuvor müssten aber mehr geophysikalische und geologische Daten in die weitere Forschung integriert werden. „Der Beitrag zeigt, wie eine Kombination aus Beobachtung und numerischer Simulation der Prozesse, die bei der Kontinentalverschiebung ablaufen, dazu beitragen kann, dieses Potenzial in der Zukunft zu erschließen.“

Einige der im Artikel vorgestellten numerischen Modelle werden im Rahmen des am MARUM angesiedelten Exzellenzclusters „Ozeanboden“ entwickelt und verbessert. Sie sollen dabei helfen, die Bildung von Kontinentalrändern und der ozeanischen Kruste sowie deren Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf besser zu verstehen.

Das MARUM gewinnt grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rolle des Ozeans und des Meeresbodens im gesamten Erdsystem. Die Dynamik des Ozeans und des Meeresbodens prägen durch Wechselwirkungen von geologischen, physikalischen, biologischen und chemischen Prozessen maßgeblich das gesamte Erdsystem. Dadurch werden das Klima sowie der globale Kohlenstoffkreislauf beeinflusst und es entstehen einzigartige biologische Systeme. Das MARUM steht für grundlagenorientierte und ergebnisoffene Forschung in Verantwortung vor der Gesellschaft, zum Wohl der Meeresumwelt und im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Es veröffentlicht seine qualitätsgeprüften, wissenschaftlichen Daten und macht diese frei zugänglich. Das MARUM informiert die Öffentlichkeit über neue Erkenntnisse der Meeresumwelt, und stellt im Dialog mit der Gesellschaft Handlungswissen bereit. Kooperationen des MARUM mit Unternehmen und Industriepartnern erfolgen unter Wahrung seines Ziels zum Schutz der Meeresumwelt.