Der blinde Fleck der Biodiversität wird etwas kleiner: Forschende des LIB konnten im letzten Jahr insgesamt 172 neue Tierarten benennen und beschreiben. Von Maikäfern über blinde Langbeinspinnenarten bis zu Bernsteininklusen wurden Arten aus insgesamt zwölf verschiedenen Tierordnungen identifiziert. Dennoch müssen nach Ansicht unserer Expertinnen und Experten nicht nur die Anstrengungen erhöht werden, sondern auch neue Formen von Beschreibungen entwickelt werden, damit wir künftig die weitestgehend noch unbekannte Artenvielfalt unseres Planeten weiter ergründen können.
Aktuellen Schätzungen zufolge gibt es weltweit über acht Millionen lebende Arten, von denen aber weniger als zwei Millionen wissenschaftlich beschrieben wurden. Forschende des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) entdeckten bislang unbekannte Käfer, Schmetterlinge, Köcherfliegen, Pseudo-Skorpione, Fliegen, Spinnen, Schnecken, Fische, Schlangen, Geckos, Frösche und Mäuse.
Zu den neuen Entdeckungen zählen unter anderem 76 neue Arten von Maikäfern und 28 Langbeinspinnen, darunter blinde Höhlenarten von Galapagos. „Selbst im internationalen Vergleich mit anderen Forschungsinstituten und Museen sind das sehr beeindruckende Zahlen, die zeigen, dass wir als LIB für die Biodiversitätsforschung einen großen Beitrag leisten. Letztendlich wollen wir mit unserer Arbeit unseren Beitrag dafür leisten, die Natur für kommende Generationen zu erhalten“, resümiert Prof. Dr. Alexander Haas, Leiter des Zentrums für Taxonomie und Morphologie am LIB.
Die neuen Arten wurden während jüngster Feldarbeiten oder dank internationaler Kooperationen rund um den Globus gesammelt. Sie kamen von fast allen Kontinenten, insbesondere aus Südamerika, Asien und Afrika. Einige wurden in Bernstein gefunden und stammen aus der Zeit der Dinosaurier – sind somit etwa 100 Millionen Jahre alt. Viele von ihnen stammen auch aus den Sammlungen von Naturkundemuseen, also den Orten, an denen bereits gesammelte Exemplare über Jahrzehnte aufbewahrt werden und darauf warten, von einer taxonomischen Spezialistin oder einem Spezialisten untersucht zu werden.
„Es war noch nie so wichtig wie heute, die unbekannte Artenvielfalt des Planeten zu beschreiben, um sie zu schützen, da unentdeckte Arten ein dreimal höheres Aussterberisiko haben“, warnt Dr. Dirk Ahrens, Sektionsleiter Coleoptera am Museum Koenig Bonn des LIB. Während das öffentliche Interesse am Klimawandel kontinuierlich zunehme, sei dies für die Biodiversitätskrise bei weitem nicht der Fall. Dabei sei der Verlust der Biodiversität im Zusammenhang mit dem Verlust von Lebensräumen durch menschliche Aktivitäten und den Klimawandel irreversibel und hiermit unsere Zukunft in Gefahr Dennoch – nur ein Bruchteil der Biodiversität unseres eigenen Planeten ist bislang bekannt. „Die Biodiversitätskrise ist für unsere Lebensgrundlage eine genauso große Bedrohung wie die Klimakrise. Wir müssen uns für den Erhalt der Biodiversität weiterhin stark machen. Die Entdeckung all dieser unbekannten Arten ist daher wichtig und benötigt umfangreiche Finanzierung, die wir derzeit noch nicht haben,“ fordert Ahrens.
„Die Vervollständigung des Wissens über vielleicht die Hälfte oder Dreiviertel der Biodiversität genießt derzeit innerhalb der Forschungswelt nicht den Stellenwert, den wir benötigen. Deutschland kann, durch eine starke Förderung der Ausbildung und Erfassung der internationalen Biodiversität, Vorreiter für eine globale und offene Wissensteilhabe sein. Deutschlands naturkundlichen Forschungsmuseen kommt hierbei eine führende Rolle zu“, sagt LIB-Generaldirektor Prof. Dr. Bernhard Misof. Gleiches gelte für moderne molekulare Ansätze (DNA-Barcoding), die seit kurzem mit dem Ziel angewendet werden, Biodiversität schneller zu inventarisieren.
„Tatsache ist, dass wir nur einen kleinen Teil der globalen Vielfalt kennen, und das Aussterben schreitet in erschreckendem Umfang voran. Wir wünschen uns dringend mehr Nachwuchswissenschaftlerinnen und wissenschaftler, die wir für die weitere Erforschung der Biodiversität begeistern können“, betont Misof.