Interview: Die Klimaveränderung kann wie ein globaler Atomkrieg wirken

Prof. Dr. Wolfgang Kießling. (Bild: FAU/David Hartfiel)

Prof. Dr. Wolfgang Kiessling studierte Geologie/Paläontologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, wo er im Institut für Paläontologie 1992 sein Diplom machte. Im Jahre 1995 wurde er bei Erik Flügel, dem Gründer des Erlanger Instituts, promoviert. 2005 habilitierte er sich an der FU-Berlin in Historischer Geologie und Paläontologie. Die Forschung von Prof. Kießling über Massenartensterben in längst vergangenen Jahrmillionen liefert wichtige Informationen über den Klimawandel unserer Zeit. Er arbeitet dazu an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) am Lehrstuhl für Paläoumwelt im GeoZentrum Nordbayern. Der FAU-Paläobiologe Wolfgang Kießling zeigt, wie brandaktuell Forschung über die Welt vor vielen Jahrmillionen heute ist.


Herr Professor Kießling, weshalb haben Sie und Ihr Team kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift PNAS eine stärkere Relevanz der Paläontologie in der Klimapolitik gefordert?

Die Paläontologie kennt in der Geschichte der Erde einige Ereignisse, bei denen sich das Weltklima und die Temperaturen rasch veränderten. Dabei kollabierten Ökosysteme und sehr viele Arten starben aus. Daraus können wir Rückschlüsse auf die Folgen des heutigen, von der Menschheit ausgelösten Klimawandels für die Biodiversität ziehen. Mit diesen Paläo-Daten können wir sehr viele wichtige Fragen zumindest teilweise beantworten: Wie verheerend kann Klimawandel im Extremfall sein, was kann die Natur noch durch natürlich Anpassen wegstecken und welche Arten und Regionen wird es besonders hart treffen?

Aber es heißt doch auch, die Geschichte wiederholt sich nicht?

Das ist zwar im Prinzip richtig. Die Paläontologie aber nutzt nicht nur historische, sondern sehr stark auch naturwissenschaftliche Methoden. Wir können damit überraschend viele allgemeingültige Regeln ableiten, mit denen wir dann mögliche Folgen von Klimaveränderungen abschätzen können. Diese Regeln wiederum stützen sich auf harte Fakten, die Massenartensterben in den vergangenen Hunderten von Jahrmillionen sind ja gut belegt. Die Klimaforschung dagegen kann als Naturwissenschaft nicht in die Zukunft schauen, sondern stützt sich auf Modellrechnungen.

Wie schätzen die aus der Paläontologie abgeleiteten Regeln die Folgen des derzeitigen Klimawandels ein?

Wenn wir den Klimawandel nicht rasch und wirksam bremsen, werden die Folgen furchtbar sein. Wir wissen, dass vor 252 Millionen Jahren bei einer starken Klimaerwärmung mehr als 80 Prozent aller Arten ausgestorben sind – mit verheerenden Konsequenzen: Damals verschwanden ganze Ökosysteme wie die Korallenriffe vollständig aus den Meeren. So starke Klimaerwärmungen hatten schlimmere Folgen, als wenn man in einem globalen Krieg alle auf der Erde vorhandenen Atomwaffen gleichzeitig einsetzen würde.

Kann man die Folgen eines Atomkriegs überhaupt mit denen einer natürlichen Klimaveränderung vergleichen?

Als vor 66 Millionen Jahren ein riesiger Asteroid in den Golf von Mexiko und auf die mexikanische Halbinsel Yucatán einschlug, wurden Ruß, Staub und Schwefelsäure-Aerosole hoch in die Atmosphäre geschleudert und schirmten dort das Sonnenlicht so stark ab, dass die Temperaturen auf der Erde um etwa 26 Grad Celsius absackten. Dadurch starben nicht nur die Dinosaurier, sondern auch viele andere Arten aus anderen Gruppen aus. Diese Auswirkungen wurden mit den gleichen Modellen und Methoden ausgerechnet, mit denen ursprünglich die Folgen eines Atomkriegs ermittelt wurden, bei dem ebenfalls riesige Mengen Staub und feiner Partikel den Himmel lange Zeit verdunkeln und so einen nuklearen Winter auslösen.

Einige Arten aber haben ein solches Inferno überlebt, die Natur hat sich später von solchen Schlägen wieder erholt.

Das ist zwar richtig. Aber etliche Menschen haben auch die beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert überlebt. Und doch haben wir sehr gute Gründe, eine Wiederholung solcher Ereignisse mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern. Schließlich hat sich die Natur zwar von den Klimakatastrophen der Vergangenheit erholt. Nur hat das viele Jahrtausende gedauert. In einer solchen langen Zeit dürften daher auch extrem viele Menschen sterben, von denen viele mit entschiedenen Maßnahmen gegen den Klimawandel wohl gerettet werden könnten.

Wann könnte ein solches Massenartensterben ausgelöst werden?

Aus den vergangenen Ereignissen können wir schließen, dass es ab einer Erhöhung der globalen Temperaturen von 5,2 Grad Celsius ein Massenartensterben geben wird. Gleichzeitig zeigen uns die Klimamodelle, dass ohne starke Maßnahmen gegen den Klimawandel die Temperaturen allein bis zum Ende dieses Jahrhunderts um vier Grad steigen könnten. Damit wären wir schon recht nahe an einem Massenaussterben, das den Globus in einer unvorstellbaren Stärke verheeren würde.

Gibt es bei einem solchen Massenartenaussterben auch Gewinner?

Bei den Klimakatastrophen der Vergangenheit waren die Korallenriffe immer die großen Verlierer und sind aus den Meeren verschwunden. Schwämme scheinen dagegen deutlich robuster zu sein und überstanden diese Klimaerwärmungen besser. Tatsächlich zeigen vorläufige Daten, dass Schwämme auch heute eher zu den Gewinnern des Klimawandels gehören könnten. An Land werden oft die Insekten als besonders robust dargestellt. Allerdings gibt es an dieser Überlegung durchaus Zweifel. So findet man an versteinerten Blättern aus der Zeit kurz nach dem Aussterben der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren erheblich weniger Biss-Spuren von Insekten als vorher. Damals starben also offensichtlich auch sehr viele Insekten aus.

Was sollte die Paläontologie also tun, um relevanter für die Klimapolitik zu werden?

In den Bereichen, in denen es möglich ist, sollten wir unseren Beitrag leisten. Wir müssen viel gezielter auf die Bedürfnisse von politisch relevanten Organisationen wie dem Weltklimarat IPCC eingehen. Dazu gehört, dass wir relevante Zahlen und Unsicherheiten klar benennen und gezielt auf das Problem unterschiedlicher Zeitskalen eingehen. Wir sollten auch viel stärker auf die Ökologie zugehen. Dort laufen Experimente oft nur über einige Wochen oder allenfalls wenige Jahre und liefern daher nur kurzfristige Ergebnisse. Die Daten der Paläontologie überblicken dagegen Jahrtausende – und könnten die Ökologie daher vor allem beim Abschätzen von Aussterbe-Risiken sehr gut unterstützen.

Roland Knauer hat das Interview geführt